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Zecher und Trunkenbolde
in Solingen und im Bergischen Land

 
17. Jahrhundert
      -  Rabiater Zecher

18. Jahrhundert
      -  Grutgeld und Schwelgereien
      -  Blauer Montag
      -  Medizinische Maßnahmen

19. Jahrhundert
      -  Freizeitgestaltung
      -  Flüssige Nahrung
      -  Quelle gar vieler Krankheiten
      -  Jugendschutz
      -  Tierschutz
      -  Wirte und Schleifer
 
      -  Vereine für Mäßigung und Enthaltsamkeit
      -  Lohn oder Schnaps
      -  Behördliche Vorladung
      -  Kein Mangel an Wirtshäusern
      -  Unglücksfälle und Fabrik-Ordnungen
      -  Klotschgaate
      -  Kuren

20. Jahrhundert
      -  Weitere Vereine
      -  Inspektionen und Polizeiakten


Man pflegte die Geselligkeit, es wurde viel gefeiert, und manchmal schlug man eben über die Stränge. Der Schnaps kommt höchstens in harmlosen Anekdötchen vor, wenn die heile Hofschafts- und fleißige Handwerkerwelt in folkloristischen Aufsätzen oder aktuellen Wanderführern präsentiert wird. In der ortsgeschichtlichen Literatur, behördlichen Verordnungen oder alten Zeitungen stößt man aber immer wieder - bei der Suche nach ganz anderen Dingen - auf weniger harmlose Hinweise.

Spätestens seit dem 19. Jh. wurde ein Problem offensichtlich, unter dem viele Familien gelitten haben und an dem einige zugrunde gegangen sind. Deprimierende, als aussichtslos empfundene Lebensverhältnisse führten auch schon früher dazu, dass viele Männer und manche Frauen vor der Lebenswirklichkeit in den Fusel flüchteten.



17. Jahrhundert

Rabiater Zecher

Im 17. Jh. scheint die unkontrollierte Zecherei im beschaulichen Hilden an der Itter noch nicht so verbreitet gewesen zu sein, und wer sich im "Schwanen" abfüllen lassen konnte, der war auch nicht ganz arm. So wird der folgende anstößige Vorfall noch ein recht ungewöhnlicher gewesen sein:

"Das 'übelste' dieser sehr seltenen Vorkommnisse leistete sich Christian Bruchhausen, der an einem Sonntag im Jahr 1689 im Schwanen gezecht hatte, und das auch noch »unter wehrendem morgendem gottesdienst«. Dabei nun hatte sich der Mann im Trunke so übernommen, daß er »dadurch nit nur seiner haußfraw schläge, ßondern auch anderen nachbarn in der gemein großen anstoß gegeben« hatte. Diese zweifach Sünde war Anlaß genug, daß er von dem nächsten Abendmahl »ernstlich censuriret« werden sollte. Da man nichts weiter hört, wird die Sache damit wohl erledigt gewesen sein, d.h. der Sünder wird nach Androhung von Kirchenzucht versprochen haben, derartige Verfehlungen in Zukunft zu unterlassen." [Unger S. 72]



18. Jahrhundert

Grutgeld und Schwelgereien

Erklärtes Ziel war natürlich nicht, den Branntweinkonsum einzuschränken, als die kurfürstliche Regierung des Bergischen Landes 1710 die Branntwein- und Weinsteuer erhöhte. In diesem Zusammenhang wurde am 25.07.1711 ein Erbpachtvertrag über das Grutgeld zwischen Bürgermeister Johann Eck dem Jüngeren im Namen der Stadt Solingen und einer Kommission der Hofkammer abgeschlossen.

Grut ist gleichbedeutend mit Gagel (Myrica L.), "eine Pflanze, die hierzulande anstelle des Hopfens zum Bierbrauen benutzt wurde. Nach dem Erbpachtvertrag sollte jeder Wirt von einem Malter Malz einen Raderschilling zahlen." [Rosenthal 2 S. 49 f]

1745 führte die Landesregierung u.a. eine Verbrauchssteuer auf Getreide, Bier und Branntwein ein und profitierte von der steigenden Nachfrage.

Kontra-produktiv für die Steuereinnahmen war hingegen die Verordnung vom 06.09.1743: "Die wieder einreissenden Schwelgereien bei Leichenbegängnissen, Hochzeiten und Kindtaufen werden wiederholt verboten." [Scotti Nr. 1535] In der Tat gibt es viele dieser Verbote, und damit waren nicht nur die "anderen" kulinarischen Genüsse gemeint.



Blauer Montag

Es gab noch weitere Verordnungen gegen sog. Missbräuche. Durch ein am 23.04.1772 erlassenes kaiserliches Edikt wurde "die nach dem Reichsbeschluß vom Jahre 1731 im ganzen römischen Reich zu bewirkende Abstellung der Handwerks-Mißbräuchen, namentlich die Haltung der blauen Montage [...] wiederholt befohlen". [Scotti Nr. 2075]

Es hatte sich anscheinend nicht nur bei den Handwerkern im Bergischen Land eingebürgert, dass viele montags auf die Ausübung ihrer Tätigkeit verzichteten, um den sonntäglichen Rausch auszuschlafen. Diese Gewohnheit ließ sich schwer abstellen. Mit der Verordnung vom 27. Juni 1783 wurde man deutlicher:

"Die Abstellung der sogenannten blauen Montage wird, auf den Grund der gegen die Handwerksmißbrauche ergangenen Reichsedikte [...], wiederholt, ernstlich befohlen. Die gegen diesen Befehl handelnden Handwerksgesellen sollen für den ersten Müssiggangstag mit 15 Stbr, für den zweiten mit 30 Stbr. und für den dritten mit achttägigem Arrest bestraft werden; diejenigen Meister welche sich an solchem Mißbrauch betheiligen, verfallen für die vorgenannten Contraventionen in die doppelte Strafe und sollen im vierten Wiederholungsfall des Handwerks verlustig erklärt werden." [Scotti Nr. 2212]


Diese Verordnung fiel in die Regierungszeit von Herzog Carl Theodor, dessen besonderes Interesse der Wirtschaftsförderung galt.

  "Blauer Montag, nach der lila Altarbekleidung am arbeitsfreien Fastnachtsmontag." [Knaur 1932]



Medizinische Maßnahmen

Mit den gesundheitlichen Aspekten hingegen wurde der aus Leipzig stammende Johann Heinrich Scheller konfrontiert, der sich 1780 als Wundarzt und Geburtshelfer in Löhdorf (Solingen) niederließ. In dem zuerst 1788 in Elberfeld gedruckten "Bergischen Magazin" zog er publizistisch gegen den Alkoholismus zu Felde, den er schon damals unter seinen Patienten in erschreckender Weise verbreitet fand und an den schon die 4-5jährige Kinder gewöhnt wurden. Durchschlagenden Erfolg hatte er nicht.

Aus der Franzosenzeit (1795-1801) berichtet Rosenthal über eine Verordnung zur Einrichtung des Düsseldorfer Militärhospitals vom 13.09.1795, wonach der Volksrepräsentant Gillet und der Kommissar Lombard "Bettzeug, Hemden, Schnaps, Wein, Brennöl und Lebensmittel" verlangten. [2. Bd. S. 185] Womöglich gab es keine anderen Narkosemittel. - Ansonsten mussten auch die französischen Besetzer von der Bevölkerung jederzeit reichlich mit Branntwein versorgt werden. Die Auswirkungen sind bekannt.



19. Jahrhundert

Freizeitgestaltung

Im Zeitraum 1805-1831 stieg der Branntweinkonsum in Preußen lt. Stremmel um 170%. Der Autor merkt (1991) relativierend zur besorgten Haltung der damaligen Mediziner an:

"Allerdings übersahen die Ärzte, daß der Alkohol, erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts für jedermann erschwinglich geworden, gerade während der Arbeitszeit ein Vehikel darstellte, aus Eintönigkeit, Langeweile und Perspektivelosigkeit zu fliehen und das soziale Elend zu betäuben. Gastwirtschaften waren auch Orte neuer Formen der Freizeitgestaltung abseits von den eigenen düsteren, engen Wohnungen." [Stremmel S. 79]


Langweilig wurde es nicht so schnell, wenn man nebenher eine kleine Landwirtschaft betrieb, und die Handwerker-Frauen mit großer Kinderschar, aber ohne automatisierten Haushalt, Tiefkühlkost und Pizzakurier, litten ohnehin nur selten unter Langeweile. Bei Untermietern und Kostgängern in der Stadt sah das ganz anders aus.

Alkoholmissbrauch gab es nicht erst Ende des 18. Jh.: Die schon erwähnten Familienfeiern (es waren große Familien!) boten immer einen Anlass, und Hochprozentiges konnte man selbst herstellen und tat es auch.


Busch
 

In den Wirtshäusern, den Stätten der Freizeitgestaltung, wurde nicht nur getrunken, kommuniziert und getanzt. Es kam auch zu heftigen Begleiterscheinungen, so dass 1810 unter napoleonischer Regierung der Präfect des Rheindepartements mit einer Abhilfe verheißenden Verordnung einschritt.

Zuvor hatte man es schon mit stärkeren Sanktionen versucht, um die Einhaltung der Polizeistunden durchzusetzen.


"2547. - Den 16. April 1800. - A.
Das späte, nach der Polizeistunde stattfindende Zechen in den Wirthshäusern wird bei 10 Rthlr. und im Wiederholungsfall bei 20 Rthlr. und noch schwererer Strafe für Wirthe und Gäste, nebst deren Verantwortlichkeit für die daraus entstehenden Unordnungen und Unglücke, verboten; die angeordneten Nachtswachen sind neben den Polizei-Behörden zur Visitation der Wirthshäuser ec. verpflichtet."
[Scotti]

"3110. - Den 1sten Januar 1810. - T.
Der Präfect des Rheindepartments.
Die Wirthe auf dem Lande, welche Tanzmusik halten, müssen, zur Vermeidung der durch das Auslöschen der Lichter entstehenden Schlägereien und andern Unfugs, ihre Tanzböden wenigstens mit 6 Lichtern, für deren Erhaltung sie zu sorgen haben, beleuchten. Die Contravenienten sollen mit Brüchten [= Geldstrafen] und mit Einziehung der Concession bestraft werden."
[Scotti]



Flüssige Nahrung

Geistige Getränke blieben ansonsten weiterhin Grundnahrungsmittel und waren anno 1813 Bestandteil der Verpflegungssätze für die kaiserlich russischen Truppen. Diese erhielten lt. Vorschrift "Mittags: Suppe, Gemüse, Fleisch, 1/2 Maas Bier und ein Schnapps. Abends dasselbe ausser der Suppe." [Scotti Nr. 3444] - Und wenn das Gemüse nicht reichte, wurde eben ein bisschen mehr Schnaps gereicht.



Quelle gar vieler Krankheiten

1823, als von den Russen längst nicht mehr die Rede, der Branntwein aber in aller Munde war, nimmt der Solinger Kreisarzt Dr. Spiritus differenziert Stellung zu dessen Vor- und Nachteilen:

"So wie der Wein den Wohlhabenden so ist dem Minderbegüterten und Armen der Branntwein ein wahres Labsal, seine Consumtion ist leider viel zu stark, besonders in der Fabrikgegend des Kreises, indem die Fabrikarbeiter sich von Jugend auf an dessen täglichen Genuß gewöhnen.

Die Quelle gar vieler Krankheiten derselben ist allein diesem schädlichen Getränke beizumessen, vorzüglich ist er den Schleifern und Schmieden, die viel vor dem Feuer arbeiten, feindselig; besser vertragen ihn die übrigen Handwerker unserer Fabrik. Der Schleifer sitzt den ganzen Tag gebückt vor dem Schleifsteine, erkältet die Füße, da der Fußboden stets feucht ist und preßt den Unterleib zusammen; schon dadurch wird das Blut veranlaßt, mehr nach der Brust zu strömen, der Andrang dahin wird aber vermehrt, wenn er, besonders im Winter, um sich zu erwärmen, ziemliche Quantitäten Branntwein zu sich nimmt; daher zum Theil die Schwäche des Lungenorgans unter dieser Klasse von Arbeitern, die sich so oft durch Blutspeien kund gibt und vor und nach in Eiterschwindsucht ausartet.

Etwas ähnliches geht bei den Schmieden vor, die, stundenlang vor dem Feuer stehend, eine erhitzte Luft einathmen müssen, wodurch Congestionen nach den Lungen entstehen, die durch den Genuß des Branntweins vermehrt werden.

  Über die Gesundheitsgefahren des Schleiferberufs

Sehr zu beklagen ist es, daß selbst Kinder in zarter Jugend zum Branntweinstrinken Anleitung erhalten; es bringt indessen die Fabrik so mit sich: der Knabe, kaum noch zehn Jahre alt, wird schon zum Handwerke angeführt, muß bereits vor dem Schraubstocke stehen oder vor dem Schleifsteine sitzen und trinkt und raucht von diesem Zeitpuncte an mit seinen Vorgesetzten um die Wette.

In denjenigen Gegenden des Kreises, wo blos Ackerbau getrieben wird, ist der Verbrauch des Branntweins geringer, er findet zwar auch hier seine zahlreichen Verehrer, doch ist er nicht so sehr zum täglichen Bedürfnis geworden, auch bekommen ihn Kinder nicht so frühzeitig zu kosten.

Am besten würde der Branntwein für die arbeitende Klasse in mäßiger Gabe Morgens bald nach dem Genuß des ... Frühstücks passen, er käme dann auf jeden Fall dem Magen in seinen Verrichtungen zu Gute und würde weniger störend auf die Zirculation des Bluts einwirken."

[Spiritus S. 162 f, § 50]



 

Trotz der frühen Gewöhnung war ein zu hoher Alkoholpegel auch die Ursache für manchen Arbeits- und Wegeunfall und manche nächtliche Wasserleiche, die aus einem Kotten- oder Mühlenstauteich gezogen wurde.



Jugendschutz

Das Problem war grundsätzlich erkannt, und Landrat von Hauer schritt zumindest formal gegen den allzu frühen Branntweingenuss der Knaben ein:

"4. Juni 1828. Es ist zur Kenntniß gekommen, daß Schul- und anderen Knaben der Zutritt zu Schenk- und Kaffee-Stuben und zu den Tanzböden häufig und noch dazu ohne alle Aufsicht gestattet, ihnen von den Wirthen Bier, Branntwein und sonstige geistige Getränke gegen Zahlung verabreicht und Karten- und andere Spiele erlaubt werden. Um den hieraus für die Jugend entstehenden verderblichen Folgen möglichst vorzubeugen, ist neuerdings verordnet worden, daß Knaben unter 16 Jahren ohne Beisein ihrer Eltern, Vormünder oder ihrer Vorgesetzten den Zutritt zu ihren Schenken, Kegelbahnen, Tanzböden ect. nicht zu gestatten, denselben keine Getränke zu verabreichen und auch bei ihnen keine Karten- und andere Spiele zu dulden seyen. Der Landrath, von Hauer."
[Die Heimat Nr. 3/1972 S. 12]


Das Verbot musste wirkungslos bleiben, wenn die Väter und Vorgesetzten für den Nachschub sorgten und die geistigen Getränke auch für den Nachwuchs ganz in Ordnung fanden. Das Problem ist bekanntlich auch heute ganz aktuell.




Tierschutz

Das Wohl der Tiere war noch kaum ein Thema, als im Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 25. Juli 1838 Tierschützer die traurige Situation misshandelter Karren-Hunde beklagten, "namentlich, wenn der Eigenthümer in der Tasche nichts, dagegen im Leibe Schnapps hat; der Hund aber weder Fressen noch Saufen, sondern nur Prügelsuppe bekommt." - Und sicher waren nicht nur Zugtiere die Leidtragenden.




Wirte und Schleifer

In einem Artikel über den Lochbach in Solingen wird am Rande erwähnt, dass die dort angesiedelten Ortschaften Hecken und Herberg, wo zahlreiche Messerreider wohnten, über eine ungewöhnlich große Zahl von Gaststätten verfügten. Während des 19. Jh. soll in fast jedem zweiten Haus ein Ausschank vorhanden gewesen sein. Dabei wird auf die zahlreiche Laufkundschaft verwiesen, die den Wirten aufgrund der günstigen Lage an einer Durchgangsstraße zuteil wurde.

Zahlreich waren die Ausschänke nicht nur dort. Viele Schleifer, Reider und andere Handwerker betätigten sich im Zweitberuf als Wirt, und da es sich lohnte, machte mancher seinen Haupterwerb daraus - wie z.B. 1839 der Schleifer Wilhelm König in der Westersburg in Wald (Solingen).

Bier und Schnaps gehörten längst zum Alltag wie das tägliche Brot und die Tabakspfeife. Die hochprozentig gefüllte Kanne oder Flasche kreiste auch in manchen - nicht allen - Schleifkotten, was die Lebenserwartung der ohnehin gesundheitlich gefährdeten Schleifer weiter verringern konnte.

Dass es auch anders ging, zeigt das Beispiel des gestrengen Herrn Nathanael Ern, der im 19. Jh. Eigentümer des Ernenkottens an der Itter war. Er duldete in seiner Gegenwart weder "lose Rederei" noch Branntweinumtrunk. Ob er mit seiner Einstellung eine Ausnahme war, kann ich nicht beurteilen. Vermutlich fanden sich jeweils Handwerks-Kollegen mit der einen oder anderen Einstellung zusammen, sonst konnte es nicht gutgehen.



Quellen

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