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Familiäre Ereignisse - Verlobung und Hochzeit

 
Rosen. Aquarell von Helmut Frensel
 
Verlöbnis und Hochzeit
Verlöbnis, Aufgebot und Polterabend
Edikt des Herzogs Wilhelm aus dem Jahre 1544
"Mißbräuche" bei Hochzeitsfesten
Hochzeiten und Kindstaufen (Dr. Spiritus)
Gebehochzeiten im 19. Jahrhundert

  Heiraten und Heiratsverträge aus alter Zeit (16.-19. Jh.) im Raum Haan



Verlöbnis und Hochzeit

Rosenthal beschreibt den "normalen Weg" der Eheschließung und nennt dazu Beispiele aus dem 17. Jh. Dass die jungen Bräute die Zustimmung männlicher Verwandter zur Heirat benötigten, verwundert für die gute alte Zeit nicht weiter. Dass aber anlässlich von Hochzeiten Tabakspfeifen für die Armen gespendet wurden - wer hätte es gedacht?


Der "normale Weg der Eheschließung" ... "bestand aus:

1. dem Verlöbnis. Dieser Ausdruck bezeichnete den weltlichen Akt der Eheschließung. Hierbei wirkte die Kirche nicht mit, kontrollierte aber die Einhaltung des Verlöbnisses.

2. der dreimaligen Proklamation (Aufgebot) von der Kanzel,

3. der Trauung (Kopulation) durch den Geistlichen mit anschließendem Empfang des heiligen Abendmahles.

Das Verlöbnis mußte vor Zeugen geschehen sein und hatte dann Rechtskraft. ... Einseitiges Zurücktreten von dem Verlöbnis war Bundbruch. Hiergegen konnte Klage vor dem Konsistorium erhoben werden. Waren mit diesem Bundbruch auch vermögensrechtliche Vereinbarungen in Frage gestellt, so konnte die Klage auch vor den weltlichen Richter gebracht werden.

Die Mädchen bedurften ... der Mitwirkung des Vaters, Bruders oder eines Onkels, um das Verlöbnis rechtskräftig zu machen. Der Vater des Bräutigams konnte wohl nur aus besonderen Gründen ein Eheverbot bei dem Richter erwirken. Ein solcher Fall wird 1693 berichtet.

Sieben Jahre vorher hatte eine Gertrud Sanders ein Kind von dem jungen Johan Klop zum Kotten bekommen. Damals wurde auf landesherrlichen Befehl den jungen Leuten ein Eheverbot auferlegt, vermutlich war es vom Vater des jungen Mannes erwirkt worden. Nunmehr, 1693, wollten die jungen Leute heiraten und wandten sich an das Konsistorium. Das beschloß, den Vater zu befragen, wie er zu der Heirat stehe. Der erklärte sein Einverständnis, und darauf wollte sich das Konsistorium bei dem Richter für die Aufhebung des Eheverbotes einsetzen.

Kompromiß der Bevölkerung

Die Bevölkerung schloß einen Kompromiß zwischen ihrer alten Gewohnheit und den kirchlichen Ehevorschriften. Nach dem ersten Aufgebot feierte man den Hilling. Das war ein fröhliches Fest, und fortan betrachtete man sich als Eheleute. Die Trauung mochte dann warten. Oder man ließ erst alle drei Proklamationen geschehen, vollzog die Ehe und ließ sich dann erst nach ein bis zwei Monaten trauen. Dadurch kamen die vielen Fälle zustande, daß die Kinder vor Ablauf von neun Monaten nach der Trauung geboren wurden. Es handelte sich also mehr um Respektlosigkeit gegenüber der Kirche als um Sittenlosigkeit. Der Familienforscher muß also mit solchen Datenverschiebungen rechnen, wenn er die Heirats- und Geburtsregister vergleichend benutzt.

Schwierigkeiten traten auch bei der Wiederverheiratung auf. Die ältere Kirchenordnung schrieb eine Wartezeit von sechs Monaten vor. Da wollte aber der Thönes Hermans zu Pilghausen schon neun Wochen nach dem Tode seiner Frau wieder heiraten und machte geltend, daß er »erhebliche Ursachen« habe zu heiraten. Dem konnte sich das Konsistorium nicht verschließen und genehmigte die Proklamation.

Es sollte aber der Fall von der Kanzel aus dargelegt werden, damit die Gemeinde keine unerwünschten Folgerungen aus dieser Nachgiebigkeit zöge. Später wurde die Frist bis zur Wiederverheiratung auf 30 Wochen verlängert. Dem Clemens Neef, der sich 1692 mit der Witwe Christine Schroder geb. Broch vor Ablauf dieser Frist verheiraten wollte, wurde das glatt verweigert. Ihm wurde aufgegeben, bis zum Ablauf des Termins das Haus der Witwe zu meiden.

Mischehen waren unerwünscht

Für die reformierte Gemeinde war es gerade noch tragbar, wenn der Ehepartner anderer Konfession zum reformierten Glauben übertreten wollte. Die Witwe Anna Berg hatte sich 1681 mit dem Katholiken Volrad Leßen aus dem Stift Paderborn verheiratet. Der Bräutigam versprach, zur reformierten Religion überzutreten. Die Witwe mußte aber Kirchenbuße leisten, weil sie »sich mit einem Papisten zur Ehe eingelassen« und ihn schon einige Zeit in ihrem Hause gehabt hatte.

Ausweg aus Schwierigkeiten

Eigenwillige Leute machten von der Gelegenheit Gebrauch, sich von einem Geistlichen anderer Konfession trauen zu lassen, wenn ihnen in der eigenen Gemeinde Schwierigkeiten bereitet wurden. Vielfach gingen Reformierte nach Köln und ließen sich dort von einem katholischen Pfarrer trauen. Dagegen legte zwar das reformierte Konsistorium unter Umständen Beschwerde ein bei der Regierung, aber das half meistens nichts; die Ehen waren gültig. Die Regierung verfügte zwar, daß die jungen Eheleute Kirchenbuße tun sollten; damit war der Fall aber auch abgetan.

Auch zwischen Reformierten und Lutheranern entstanden solche Komplikationen. Diese konfessionelle Lage in Solingen und im Herzogtum Berg war nicht dazu angetan, die kirchliche Autorität gegenüber den eigenwilligen Gemeindegliedern zu stärken. Der Landesregierung kam es in erster Linie darauf an, daß überhaupt geheiratet wurde.

Hochzeitsfeiern [...]

Normalerweise wurden die Hochzeiten am Tage der Trauung gehalten. Wohl wissen wir, daß im 19. Jahrhundert auch in Solingen die im Bergischen weitverbreiteten Gebehochzeiten gehalten wurden. Aus der Zeit vor 300 Jahren sind bisher aber noch keine Belege dafür beizubringen. Gelegentlich ist von großen Hochzeiten die Rede.

Die Trauungen fanden im Zusammenhang mit dem Gottesdienst statt. Recht beliebt waren auch die Haustrauungen. Es kam vor, daß die Hochzeitgesellschaften sich erst um 11 oder um 12 Uhr zur Trauung einfanden. Hierdurch wurde der Beginn des Gottesdienstes erheblich verzögert. Die Hochzeitsgesellschaften fingen schon vor der Trauung mit, wie es drastisch, aber zeitgemäß heißt, »Fressen und Branntweinsaufen« an. Daher die Verspätungen. Ganz gewiß leisteten die weiten Wege durch das Kirchspiel der Beharrlichkeit solcher Unsitten Vorschub.

Keine Zulassung von Spielleuten

... Wegen des Krieges fügte man [dem Verbot des Tanzens auf den Hochzeiten] 1672 noch das Verbot der Zulassung von Spielleuten hinzu. Wer sie dennoch bestellte, sollte am Hochzeitstage nicht getraut werden. Die Tänzer sollten vom heiligen Abendmahl ausgeschlossen werden. Solche Bestrafungen kamen viel vor. Die Lebensfreude ließ sich eben nicht eindämmen. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß diese Bestimmungen nicht erst durch den puritanischen Geist der reformierten Kirche eingeführt wurden, sondern auf die vorreformatorische Zeit zurückgehen, d.h. allgemein christlichen Ursprungs sind.

Tabakpfeifen zuerst in Solingen

Fanden die Trauungen in der Kirche statt, dann war es einfach, die Opfer für die Armen einzusammeln. Daher wurden die Trauungen in der Kirche lieber gesehen als die Haustrauungen, die die Bevölkerung vorzogen. So mußten sich denn die Armenpfleger auf den Weg machen und die Armenspenden einsammeln. Dazu gehörten auch die Tabakspfeifen, wie uns eine Notiz von 1675 verrät. Das ist der erste Beleg dafür, daß das Rauchen auch in Solingen eingedrungen war. Die Pfeifen wurden, wenn die Hochzeiten bei den Gastwirten stattfanden, bei den Wirten bestellt. Diese erhielten die Anweisung, die Pfeifen einzusammeln und den Armenpflegern zu übergeben, die sie dann nach Gutdünken unter die Armen verteilten."

[Rosenthal, Die Heimat 6/1963, S. 22 f]


Mischehen auch anderer Art waren früher gar nicht gern gesehen. Erst 1809 hob die napoleonische Regierung die im Großherzogtum Berg noch geltenden Verordnungen des preußischen Landrechts auf, "... welche die Heirath der Männer aus dem Adelstande mit Frauenzimmern aus dem Bauern- oder niedern Bürgerstande verbietet, nebst Abschaffung alles Unterschiedes zwischen dem Bauern-Stande und einem höhern und niedern Bürgerstande." [Scotti Nr. 3060, 3. Teil, S. 1187]




Verlöbnis, Aufgebot und Polterabend in Haan und Solingen

Vom folkloristischen Procedere bei Verlöbnis, Aufgebot und Polterabend im alten Haan (19. Jh.?) erzählt August Lomberg. In Haan sollen Gebehochzeiten, von denen noch die Rede sein wird, übrigens nicht vorgekommen sein.

"Da bei dem Verlöbnis die Eltern des Mädchens ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatten, so suchte man auch bei diesen einen möglichst günstigen Eindruck zu machen. Nicht selten fanden sich im Hause des Mädchens zu derselben Stunde drei oder vier Burschen ein, setzten sich draußen auf die Bank und warteten, bis sie einer nach dem anderen vorgelassen wurden. Wer dann herauskam mit einer Käsbutter, der war abgewiesen; der richtige Freiersmann aber wurde zurückgehalten. ...

Nachdem das Verlöbnis vollzogen war gingen die beiden alsbald dazu über, sich für die Hochzeit zu rüsten. Ein langer Brautstand war nicht gern gesehen und gab Anlaß zu Hänseleien. Eingeleitet wurde die Hochzeit durch das kirchliche Aufgebot. Es bestand die Sitte, daß die Verlobten bei der Verlesung ihres Namens nicht in der Kirche zugegen waren.

Am Montag nach dem ersten Aufgebot wurde Hilling gefeiert. Das Wort ist aus dem alten hîleich = Heiratsgesang entstanden. Durchweg herrschte auf diesem Feste eine ausgelassene Lustigkeit: es wurde gejuchzt, gesungen, gescherzt und vorgetragen. Zum Tanz spielte wieder die Ziehharmonika auf. Und damit es tüchtig knallte, wurde mit Pistolen, Gewehren und Katzenköppen in die Wette geschossen. Auf diese Weise erhielt das Fest den Charakter des Polterabends. Seinen Abschluß fand es durch das übliche Festgelage."

[Lomberg S. 136]


Schmidt notiert zu Verlöbnis und Hochzeit in Solingen:

"Das Verlöbnis galt als Brautschau. Vettern und Basen kamen zusammen und musterten das Paar, wobei zuweilen diese oder jene Eigenschaft oder Gewohnheit eines der Verlobten, in der derbsten aber humoristischen Art, kritisiert wurde.

Eine Feier breiterer Art war ehemals das Heiratsaufgebot; "Hilling". An diesem Tage ging es hoch her. Gefeiert wurde weit über den Familienkreis hinaus. Die Nachbarschaft nahm den stärksten Anteil. Von ihr wurde das Paar "zusammen geschossen!" Man schleppte die jetzt kaum noch bekannten Böller herbei und knallte bis zum späten Abend, so daß die Häuser erzitterten. Je mehr gebollert wurde, je mehr wurden die bösen Geister verscheucht, die das spätere Eheglück trüben konnten. Bier und Wein floß bei dieser Festlichkeit, wie man zu sagen pflegt in Strömen.

Für die weiblichen Gäste wurde ein besonderes Getränk, der "Köbes" (Branntwein mit Zucker und zuweilen mit würzigem Kräuterzusatz) gemischt, "gebraut". Es kam vor, daß sich die Feier auf mehrere Tage ausdehnte, zumal sie für die Nachbarn mehr in Betracht kam, als die spätere Hochzeit.

Am Hochzeitstage streuten die Nachbarn vor dem Hause der Braut frisches Grün und ebenso vor der Kirche; das Symbol der guten Hoffnung. Die Braut wurde von ihren Altersgenossinnen und Freundinnen besonders geschmückt. Auch fand man eine Ehre darin, ihr in der Anfertigung der Brautkleidung behilflich zu sein. Gefeiert wurde die Hochzeit so reichlich, daß die Landesbehörden verschiedentlich zur Mäßigung bei solchen Festlichkeiten aufforderten."

[Schmidt S. 144]




Ein Edikt des Herzogs Wilhelm aus dem Jahre 1544

Gründe zur Einmischung seitens der Obrigkeit gab es offenbar schon früher. So wurden Details der Hochzeitsfeierlichkeiten im Bergischen durch ein Edikt des Herzogs Wilhelm aus dem Jahre 1544 gesetzlich geregelt:

"Da Hochzeit oder Brautlaufft vorhanden, sollen die Haabseligen vier Tisch Leuth, daran ungefehrlich zwölff Menschen, an einem jeden Tisch zu setzen, und nit darüber, auff den Tag der Brauflaufft, die andern aber nach eines jeden Standts Gelegenheit, weniger und darunter halten. Und sollen auff den Gelt-Brautlaufften, die negste Blutsverwandten, Freunde, ihrem Gefallen und Gelegenheit, die Frembden so haabselig, nit höher dan einen halben Thaler, aber die andern, nach eines jeden Standts Gelegenheit, weniger geben, wie auch auff den zweiten Tag gegen den Abend, alle Gastereyen ab und auß sein sollen."
[Braselmann, MGBV 7/1896 S. 161 f]




"Missbräuche" bei Hochzeitsfesten

Über die sogenannten Missbräuche beim allzu tüchtigen Feiern, die Aufforderungen zur Mäßigung nötig erscheinen ließen, schrieb Julius Günther 1929 im Bergischen Heimatblatt. Danach muss die neue französische Regierung (1806-1813) um Wohl und Wohlstand ihrer Bürger und Steuerzahler sehr besorgt gewesen sein:

"Als das ehemalige Herzogtum Berg in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts unter Erhebung zum Großherzogtum in französische Verwaltung kam, wurde auch den bergischen Sitten und Gebräuchen nachgespürt, um zu erkunden, ob dieses oder jenes nach französischer Ansicht nicht mehr zeitgemäß sei und die mit den Gebräuchen zwangsläufig verbundenen Geldausgaben den Wohlstand der Einwohner etwa gefährden könnten. ...

Später hat ... auch die preußische Regierung die Beseitigung von Mißständen betrieben, die sich gelegentlich der Volks- und Heimatfeste ergaben und die hauptsächlich auf übermäßigen Branntweingenuß zurückgeführt werden müssen.

Namentlich bei den Hochzeitsfeierlichkeiten, den sogenannten 'Gebehochzeiten' wird mancher Unfrieden entstanden sein. Die zur Hochzeit geladenen Gäste waren verpflichtet, dem Brautpaare ein Geschenk zu übermitteln, das je nach den Verhältnissen aus Beträgen bis zu einigen Reichstalern bestand. Hierdurch kam mitunter eine ganz nette Summe zusammen, die dem Brautpaare zur Beschaffung der ersten Einrichtung dienen sollte. ... Aber die Hochzeitsgäste mußten auch bewirtet werden. Daß hierbei der größte Teil der eingekommenen Gelder wieder ausgegeben wurde, liegt auf der Hand.

Tüchtiges Feiern war nämlich, wie auch jetzt noch, Sitte. Daß manche der Hochzeitsteilnehmer von den reichlich aufgetragenen Speisen noch etwas mit nach Hause genommen haben sollen, wird aus alten Ueberlieferungen heraus ebenfalls behauptet. Trifft es zu, dann ging es aber bei diesen Gebehochzeiten nicht mehr darum, dem Brautpaare durch die Hergabe eines Geschenkes den Uebergang in die Ehe in wirtschaftlicher Beziehung zu erleichtern, was beim Aufkommen dieser Sitte maßgebend gewesen sein muß, sondern darum, für das Geschenk nach Herzenslust zu essen und zu trinken und den eingezahlten Betrag auch zu verzehren. Das war zweifellos ein erheblicher Mißstand. ... Der Präfekt des Rheindepartments berichtet am 2. August 1810 wie folgt:

Nachstehende Gebräuche werden von den Lokalbehörden, als dem Wohlstand der Einsassen oft höchst nachtheilig, angegeben:


1. Das in mehreren Orten übliche Gratulieren der Nachbarn gleich nach dem ersten Aufgebot der Brautleute, in manchen Orten das 'Hielinge' halten genannt. Den Gratulanten wurde für die bewiesene Aufmerksamkeit eine den Umständen angemessene Zeche mit Musik gegeben. Bei dieser Gelegenheit sollen nicht selten Streit und andere Unordnungen entstehen. Ist das Brautpaar unvermögend, so geschehen diese Feste auf Kosten der Gäste, die mitunter für jede Person mehrere Taler betragen.

2. Die zahlreiche, gewöhnlich tumultarische Begleitung des Brautpaares zum Kopulationsakt, mit und auch ohne Musikanten, wobei die Begleiter oft stark berauscht und durch unsittliches Betragen einen öffentlichen Anstoß geben sollen.

3. Das bei der oben bezeichneten Begleitung sowie bei der Rückkehr nach dem Hochzeitshause übliche durch den allgemeinen Rausch der Teilnehmer doppelt gefährliche Schießen.

4. Das in einigen Gegenden vor, in anderen nach der Hochzeit stattfindende Einsammeln und Einschreiben der Geschenke, welches als eine drückende Kontribution betrachtet wird, weil sich mancher aus verkehrtem Ehrgefühl oder aus dem Drang, sich vor den Nachbarn hervorzutun, weit über seine Kräfte anstrengt.

5. Die außerordentlich hohe Anzahl von Hochzeitsgästen und dadurch bedingter bedeutender Kosten.

6. Die lange Dauer der Hochzeitsfeste von 2, 3 und mehreren Tagen.


Der Berichterstatter vertrat ... den Standpunkt, daß es den Grundsätzen einer gesunden Gesetzgebung angemessen sei, die jedem gebührende Freiheit zu lassen, sein Vermögen nach Willkür zu verwenden und seine Vergnügungen ebenfalls nach Willkür zu wählen insofern, als er in den Schranken öffentlicher Sittlichkeit und Ordnung bleibe. Gerade diese Freiheit sei das schätzbarste Gut, welches der Staat seinen Bürgern sichern solle. ... Zur Abstellung polizeiwidriger und tumultarischer Begleitungen bedürfte es, wie der Bericht weiter besagt, keiner besonderen Verordnung, da dergleichen zu hintertreiben und gänzlich abzustellen, nicht nur zu den Befugnissen, sondern zu den Pflichten der Polizei gehöre usw.

Hiernach schien dem Chef des Rheindepartements der Erlaß einer besonderen Verordnung zur Abstellung der Mißbräuche bei Hochzeiten nicht erforderlich zu sein. Jedoch sprach er sich für eine Einschränkung der Dauer der Hochzeitsfeste auf einen Tag für das Landvolk und für den ein Handwerk treibenden Teil der Einwohnerschaft aus, denn die Verkürzung des Hochzeitsfestes sei von allgemeinem Nutzen."

[Günther]


Die gebührende Freiheit lassen - eine vernünftige Einstellung, wenn auch der allgemeine Nutzen von Sonderregelungen für Landvolk und Handwerker vielleicht erst auf den zweiten Blick einleuchtet: Sie sollten nicht zu lange vom produktiven Wirken abgehalten werden.

Dass gegen das Schießen eingeschritten werden sollte, ist leicht nachvollziehbar: "Man hatte einen guten Rückhalt an der Landesgesetzgebung, die das Mitführen von Schußwaffen bei Hochzeiten, Kindstaufen und Prozessionen schon 1608 verboten hatte. Verständlich wird das scharfe Verbot, wenn man den Feuerstrahl aus den Rohren berücksichtigt, der leicht die niedrigen Strohdächer treffen konnte.

Genützt haben diese Verbote nichts; das Hillingsschießen ist noch bis ins 19. Jahrhundert hinein in Solingen üblich gewesen. Heute ersetzen es die Knall- und Feuerwerkskörper. Und wenn die Volkskunde lehrt, daß durch dieses Getöse die bösen Geister vertrieben werden sollen, so war man schon im 17. Jahrhundert von einer solchen heidnischen Deutung weit entfernt; die Kirchenprotokolle hätten sich sicherlich diese Begründung zu eigen gemacht." [Rosenthal, Die Heimat 1963, S. 16]




Hochzeiten und Kindstaufen

Auf die Hilling-Festivitäten geht der Solinger Kreis-Physicus Dr. Spiritus gar nicht ein, und bei den Gepflogenheiten zu Familienfeiern fasst er sich kurz:


§ 56 Hochzeiten und Kindstaufen

"Hochzeiten und Kindtaufen werden, besonders im obern Kreise, ziemlich stille gefeiert, die ehemaligen sogenannte Gebhochzeiten [223] sind abgeschafft und werden nur noch zuweilen in den Bauerngegenden am Rhein veranstaltet, wobei dann große Gastmähler und öffentliche Lustbarkeiten Statt finden." [Spiritus S. 168]


Anmerkung des Herausgebers Ralf Stremmel:

[223] Eine Form der Bauernhochzeit, bei der das Paar durch einen Hochzeitsbitter zahlreiche Gäste (oft das gesamte Dorf) laden läßt - mit der Aufforderung, (Geld-)Geschenke nicht zu vergessen. Dem reichhaltigen "Geben" der Gäste (von einem Kassierer wurden die Geldgeschenke entgegengenommen und aufgezeichnet) entsprach eine - z.T. mehrtägige - aufwendige Bewirtung durch das Brautpaar. Die Gebehochzeiten, verbunden mit Tanz, Umzügen, Wettschießen usw., mündeten oft in Gelage und gewalttätige Auseinandersetzungen, so daß in vielen deutschen Staaten mehrfach behördliche Verbote ausgesprochen wurden.

Doch erst allmählich gingen die Menschen von der Tradition ab; noch 1813 meinte der Remscheider Polizeikommissar, es sei "mit fast unübersteigbaren Schwierigkeiten verbunden", die Gebehochzeiten abzuschaffen. Die Bemerkungen von Spiritus 1823 deuten jedoch einen nach 1814 relativ raschen Wandel des Brauchtums hin zu rationaleren, moderneren Formen an.




Gebehochzeiten im 19. Jahrhundert

Ganz so schnell wurden die Gebehochzeiten wohl doch nicht abgeschafft. In der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins (MBGV) von 1896 sind Ergebnisse einer damals bei älteren Leuten durchgeführten Umfrage abgedruckt, "welche in ihrer Jugend Gelegenheit hatten, eine der großen Gebe-Hochzeiten mitzumachen, wie sie in hiesiger Gegend üblich waren." Dabei kamen viele detailreiche Berichte heraus, z.B. diese:

"War der Tag der Hochzeit festgesetzt, so ging der Hochzeitbitter von Haus zu Haus, um die Einladungen auszurichten. Natürlich im besten Sonntagsstaat, auf dem Haupte trug er einen hohen Hut, von welchem lange bunte Bänder herniederwallten und mit eben solchen Bändern war der Stock geschmückt, dessen er sich mit Würde bediente. Hatte er die Einzuladenden angetroffen, so stellte er sich breitbeinig mit erhobenem Haupte vor sie hin, indem er seinen Stab mit seitwärts ausgerecktem Arm auf den Boden setzte und begann seine Einladung in gebundener Sprache vorzubringen.

Diese enthielt in der Regel am Schlusse die beherzigenswerte Mahnung, den Löffel und die Gabel nicht zu vergessen. Man konnte dieser Aufforderung auch leichter entsprechen, als sich damals fast in jedem Hause zum Zusammenklappen eingerichtete Eßbestecke befanden [...].

Da nicht nur Verwandte und Freunde, sondern in kleinen Orten fast die ganze erwachsene Einwohnerschaft geladen wurde, war die Zahl der Gäste oft so groß, daß unter den Bäumen des Hofes gedeckt werden mußte. Hier nahm man dann an langen Tafeln Platz und ließ sich die überaus reichlich aufgetragenen Speisen trefflich munden. Als Nachtisch gab es Reisbrei, und war dieser verzehrt, so rief ein Festordner in die Versammlung hinein: "Nun kommt herein und bezahlt den Reisbrei."

Im Wohnzimmer an einem Tische hatten Bräutigam und Braut Platz genommen. Vor sich ein mit bunten Bändern geziertes großes Glas, welches mit Zucker versüßten Branntwein enthielt und neben sich einen Schreiber mit Tinte, Feder und Papier. Nahten sich die Gäste dem Brautpaar, so erhob es sich und kredenzte jedem den Becher. Mit einem herzhaften Trunke that der Gast Bescheid, schob dann dem Schreiber einen Geldbetrag zu, welcher gewissenhaft mit Namen und Wohnort des Geschenkgebers gebucht wurde. So wußte man schießlich, was ein jeder gegeben hatte und zu welchem Gegengeschenk man verpflichtet war, im Falle der Geschenkgeber zu einer Hochzeit einladen sollte."

[F.L. Schn., MBGV 5/1896 S. 101 f]


Ein anderer Zeitzeuge erinnert sich:

"Es war hier Sitte, daß beim Empfang der Hochzeitsgäste die Braut oder junge Frau ein mit Bändern und Blumen geschmücktes, sogenanntes 'Kümpchen' [irdenes Gefäß] in der Hand hielt, gefüllt mit süßem Anis mit eingebrocktem Honigkuchen, woraus jeder einen Löffel voll erhielt. Es sollen dazu früher jene kleinen, zinnernen Breikacheln gebraucht worden sein, die mehrfach in Sammlungen vertreten sind. Diese zierlichen Gefäße, bei denen der Deckel als Teller dient, stammen meist aus dem vorigen Jahrhundert [= 18. Jh.] und zeigen mitunter edle, der Antike entlehnte Formen [...]. Auch erinnere ich mich, daß wohl ein Glas zu dem Zweck gebraucht wurde, woraus jeder trinken mußte.

Im Verlauf des Festes gab die Musik gegen 9 oder 10 Uhr das Zeichen zum Spenden. Die Gäste traten dann an einen Tisch und legten ihre Gaben in eine irdene Schüssel oder auf einen Teller, was von einer oder zwei Personen sorgfältig in eine Liste eingetragen wurde. Es werden bei der Gelegenheit jede reich verzierten Prunkschüsseln von Messing, Zinn, Delfter Fayence ec. zur Anwendung gekommen sein, welche ehemals wohl auf keinem däftigen Hof gefehlt haben. Das Interessanteste in der Beziehung besitzt wohl das Museum zu Braunschweig. Es sind das sehr kunstvoll bemalte, aus den Städten des Herzogtums stammende, hölzerne Schüsseln, welche dazu bestimmt waren, die Gaben bei Gebehochzeiten aufzunehmen.

In der Liste einer Gebehochzeit, welche im Jahre 1820 auf einem Hof der Gemeinde Lüttringhausen abgehalten wurde, beträgt die zweimal gezeichnete höchste Gabe 10 Thaler, die kleinste 30 Stüber und die Summe 179 Thaler 43 1/2 Stüber.

Am zweiten Tag zogen die Burschen mit Musik über die umliegenden Höfe, wo sie dafür Eier und sonstige Naturalien bekamen, was dann gemeinschaftlich verzehrt wurde und den Schluß des Festes bildete."

[Braselmann MBGV 7/1896 S. 161]


Gebefestlichkeiten fanden aber auch noch später und nicht nur anlässlich von Hochzeiten statt. Noch in den 1890er Jahren verschickte ein "Abgebrannter" folgendes Einladungsschreiben: "Da mir diesen Sommer auch mein Haus abgebrannt ist und ich nur das Haus in die Versicherung hatte, so bin ich willens am Samstag ein Fest zu veranstalten, wozu ich Sie ergebenst einlade."
[L.F.K. (Elberfeld), MBGV 4/1897 S. 109 f]

Bleibt zu hoffen, dass es sich gelohnt hat und er auf diese Weise zu neuem Hausrat gekommen ist.



Quellen:
  • Braselmann, Albert (Beyenburg), in: MGBV 7/1896, S. 161 f
  • Günther: Mißbräuche bei Hochzeitsfesten in alter Zeit. In: Bergische Heimatblätter 23/1929
  • Lomberg (1928) S. 136
  • MBGV 4/1897 S. 109 f; MBGV 5/1896 S. 101 f
  • Rosenthal: Solinger Sittenbilder aus alter Zeit. In: Die Heimat 6/1963
  • Schmidt, in: Schmidthäussler (1922) S. 140-145
  • Stremmel (1991) / Spiritus (1823)

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