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Pilghauser Kotten - Preußkotten (Pilghauser Bach)

Pilghauser Kotten
Um 1810   Pilghauser Kotten
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen
 
Lage
Geschichte und Eigentümer
Leben im Kotten
Namen



Lage

Der Pilghauser Kotten (nach dem Erbauer des Schleifkottens auch Preußkotten genannt) liegt auf der südlichen Bachseite südöstlich von Michelshäuschen. Er ist per Spaziergang zwischen (Mais-)Feldern und auf Waldwegen von der Hermelinstraße aus zu erreichen oder, von der Höhscheider Seite her, über die kleine Straße Siepen, die von der Neuenkamper Straße abzweigt und ins Tal hinunterführt.

Dass der Pilghauser Kotten diesen Namen eigentlich gar nicht hätte tragen dürfen, beklagte 1940 ein Höhscheider Zeitungsleser: "Vielmehr hätte man ihn nach der alten Ortschaft Siepen benennen können, die in ziemlicher Nähe liegt. Aber noch ein alter Flurname wäre besser dazu verwendet worden, damit er im Volksmunde erhalten geblieben wäre, nämlich 'Am Herkelnbrook' oder 'Herkelnbruch'." [RLZ v. 12.10.1940]

  Diese alte Ortsbezeichnung finde ich in meinem aktuellen Stadtplan tatsächlich nicht mehr. Unter dem Namen "Herkenbraichen" ist das Acker- und Buschgelände am Hang zum Pilghauser Tal bereits im Jahr 1488 aktenkundig (Altenberger Zehntenverzeichnis 'Liber decimarum').

  Mehr zur Ortsbezeichnung "Herkelnbruch"




Geschichte und Eigentümer

Erbauer und Eigentümer Preuß

1846 wollte der Unten-Pilghauser Scherenfabrikant Friedrich Wilhelm Preuß auf seinem Grundstück am "Hermelches Berg" einen Schleifkotten errichten und zum Antrieb das Wasser des Katternberger Baches nutzen. Dies gab Bürgermeister Höfer (Namensgeber des gleichnamigen Höhscheider Platzes mit dem Denkmal) pflichtgemäß in der örtlichen Presse bekannt:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 25. April 1846

Bekanntmachung.

Der Scheerenfabrikant Fried. Wilh. Preuß zu Unten-Pilghausen beabsichtigt, auf sein Grundstück am Hermelches-Berge, Flur 2, Nro. 771, einen Schleifkotten zu bauen und zu dessen Betrieb die Katternberger-Bach zu benutzen.

Gemäß §. 29 der Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 bringe ich dies hierdurch zur öffentlichen Kenntniß, daß der Situationsplan bei der hiesigen Stelle eingesehen werden kann, und daß diejenigen, welche sich durch diese Anlage in ihren Rechten beeinträchtigt glauben, hievon in einer Präklusivfrist von vier Wochen bei mir die Gründe vorzubringen haben.

Höhscheid, den 23. April 1846.
Der Bürgermeister: Höfer.


Von dieser Möglichkeit des Einspruchs wurde bei Kotten-Neubauten und Veränderungen an den Stauanlagen von den anderen Bach-Nutzern häufig Gebrauch gemacht, so auch in diesem Fall, wie weiter unten noch zu lesen sein wird. Als mit dem Kottenbau begonnen wurde, lag jedenfalls keine gültige Konzession vor. Ungeduld, ein Versehen oder ein Missverständnis?

Ärgerliche Missverständnisse gab es auch wegen des Bauholzes: "Überliefert ist noch, daß der Fabrikant Friedrich Wilhelm Preuß das Eichenholz zum Kottenbau von Jonathan Dahl erworben hat. Dieser besaß einen Eichenwald an der Schmalzgrube. Bis zu einer gewissen Stärke sollten die gefällten Eichenstämme liegen bleiben, was aber beim Abtransport nicht geschah. Es gab Streit, Preuß bezahlte nicht, der in Elberfeld geführte Prozess blieb ergebnislos. Jonathan Dahl ist dann im Jahre 1848 mit seinen drei Brüdern nach Amerika ausgewandert." [Lunkenheimer S. 147]

  In dieser Zeit wählten zahlreiche Solinger die Auswanderung in der Hoffnung, ihre Probleme hinter sich lassen zu können.

1852 suchte Preuß nachträglich um die Erlaubnis nach, einen Schleifkotten zu errichten, der aber schon seit 1850 in Betrieb gewesen sein soll. Bürgermeister Berger leitete das übliche Procedere ein:


Oeffentlicher Anzeiger Nr. 52 vom 25. Mai 1852 - Nr. 878
878. Anlegung eines Schleifkotten

580. Der Herr Fr.Wilh. Preuß zu unten Pilghausen beabsichtigt auf seinem Grundstücke an der Pilghaus-Katternberger Bache Flur 2 Nr. 771 des Grundstücks, genannt am Hermelchesberg, einen Schleifkotten anzulegen, wozu ihm bereits früher die Concession von Königlicher Regierung ertheilt worden, die aber erloschen ist.

Indem ich dies Unternehmen nach Vorschrift der Gewerbeordnung zur öffentlichen Kenntniß bringe, bemerke ich zugleich, daß, wer sich dadurch in seinen Rechten gekränkt glaubt, binnen einer Präklusivfrist von 4 Wochen bei unterzeichneter Stelle Einspruch dagegen erheben kann, woselbst auch die Nivellements und Situations-Pläne zur Einsicht offen liegen.

Höhscheid, den 17 Mai 1852. Der Bürgermeister: P.D. Berger.



"Der Kotten verfügte über ein besonders günstiges Gefälle, das durch ein oberschlächtiges Wasserrad von 28 Fuß Durchmesser ausgenutzt wurde. Um den schweren Eichbaum des Wasserrades war ein gußeiserner Kranz angebracht, von dem aus 12 Speichen mit dazwischen angeordneten und quer verspannten Eisensprossen den Schaufelkranz trugen." [Lunkenheimer S. 147]

  Der Zeitpunkt dieser Bestandsaufnahme wird nicht genannt. An anderer Stelle ist davon die Rede, dass der Durchmesser des Wasserrades von 23 auf 26 Fuß vergrößert werden sollte (1856).




 
Das riesige Wasserrad
an der Rückseite
des Pilghauser Kottens.
Zeichnung von Arthur Uellendall.
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen


  Da Regierung und Behörden dem Gewerbe offenbar keine größeren Steine in den Weg legen wollten, wurde die (nachträgliche) Konzession zum Bau des Schleifkottens mit einigen Auflagen 1854 [Lunkenheimer] oder 1853 erteilt [ST v. 24.08.1954].

Der Kotten erhielt nur 16 anstelle der ursprünglich vorgesehen 20-25 Schleifstellen, die im Untergeschoss lagen. Im Obergeschoss wurden zwei Wohnungen mit je sechs Zimmern eingerichtet.

Das Solinger Tageblatt berichtete ausführlicher über die Geschichte:


Solinger Tageblatt vom 24. August 1954 -n-

Böses Blut um den Pilghauser Kotten

Vor 100 Jahren reichten die Bäche nicht mehr - 200 Kotten in Solingen

ln diesem Jahre sind 100 Jahre verflossen, daß unterhalb der Hofschaft Unten-Pilghausen der Pilghausener Kotten erbaut wurde. Der Erbauer war der zu Unten-Pilghausen wohnende Scherenfabrikant Friedrich Wilhelm Preuß, nach dem der Kotten auch "Preuß-Kotten" genannt wurde.

Friedrich Wilhelm Preuß hatte, bevor er die Konzession zur Erbauung des Kottens erhielt, viele Schwierigkeiten zu überwinden.

Bereits im Jahre 1846 hatte er ein Konzessionsgesuch zur Errichtung des Kottens bei der Regierung in Düsseldorf eingereicht, er hatte aber nicht mit den anderen Anliegern des Pilghauser Baches gerechnet. Es waren besonders die Wiesenbesitzer Pet. Dan. Hoppe und Abr. Kronenberg, beide Bauermannskulle, C.W. Benninghoven am Neuenkamp, Daniel Hermes zu Pilghausen, W. Zander und die Witwe Gustav Becher zu Höhscheid, die befürchteten, daß durch die Anlage des Kottenteiches und den Betrieb des Kottens die Bewässerung ihrer Wiesen nicht mehr genügend erfolgen könnte, sie erhoben deshalb bei der Regierung in Düsseldorf Einspruch gegen das Gesuch des Friedr. Wilh. Preuß.

Sachverständige stellten fest, daß die Gerechtsame der Wiesenbesitzer zur Bewässerunig ihrer Wiesen durch die Bestimmungen der Regierung genügend gewahrt seien.

Der Höhscheider Bürgermeister Peter Höfer, der ebenfalls zu dem Gesuch Stellung nehmen mußte, schrieb, daß der Pilghauser Bach nicht die Stärke hätte, einen Schleifkotten für 20 bis 25 Mann, wie er hier vorgesehen sei, in Betrieb zu halten, die Betriebskraft des Pilghauser Baches wäre kaum auf die Hälfte der anderen Bäche berechnet. Ferner wies er darauf hin, daß die Wiesenbesitzer bisher das ganze Jahr in ungestörtem Genuß des ganzen Baches gewesen seien, um denselben über ihre Wiesen zu leiten, denn in diesem Tal und an diesem Bach sei noch kein laufendes Werk erbaut worden.

Abschließend betonte er aber auch, daß im Umfange der Solinger Waffen-, Messer- und Scherenfabrik vielleicht beinahe 200 Schleifkotten in Betrieb seien und alles Gefälle aus den verschiedenen Bächen, die durch die Täler von Osten nach Westen dem Rheintale zu fließen, dazu benutzt sind, und daß keine Schleifkotten mehr gebaut werden könnten. Man wäre also genötigt, jetzt auch die schwächeren Bäche dazu zu benutzen, zu denen auch der Pilghauser Bach gehöre.

Die Wiesenbesitzer seien jetzt schon gesetzlich der Beschränkung unterworfen, die das Reglement bei Wassermangel vorschreibt, sie würden dann den Wiesenbesitzern an den anderen Bächen gleichgestellt werden. Er betonte weiter, daß das Bedürfnis, die Schleifkotten zu vermehren, unabweislich auf der Hand liege, er hätte ein halbes Jahrhundert den Gang der Solinger Fabrik beobachtet, dieses hätte ihn auch zu dieser Ueberzeugung gebracht. [Mit "Fabrik" ist das Solinger metallverarbeitende Gewerbe insgesamt gemeint.]

Der unerfreuliche Rechtsstreit zog sich aber noch lange hin, erst am 24. Mai 1853 erhielt Friedr. Wilh. Preuß die Konzession, "auf seinem Grundstück am Hermelschesberg genannt, Flur II Nr. 771 des Katasters", gemäß dem beigefügten Situationsplan binnen Jahresfrist einen Schleifkotten errichten und betreiben zu dürfen.

In dieser Erlaubnis waren eine Reihe Bedingungen verzeichnet, die den anliegenden Wiesenbesitzern ihre Wassergerechtsame sicherten. Der Kotten erhielt nicht, wie ursprünglich vorgesehen war, 20-25 Schleifstellen, sondern 16, die im Untergeschoß untergebracht waren. Das Obergeschoß war zu zwei Wohnungen mit je sechs Zimmern eingerichtet.

Im gleichen Jahre, am 9. Dezember 1854, stellte der Notar Dahmen im Auftrage von Preuß den Kotten samt des Wohnhauses mit Nebenhaus, Scheune und Stallung in Unten-Pilghausen zum Verkauf.

Der Kotten ging damals in den Besitz des Scherenfabrikanten Friedrich Koch zu Kirschheide über. Die Opponenten ließen aber auch dem neuen Besitzer keine Ruhe, eine Eingabe folgte der anderen. Vielleicht war auch Koch an den Eingaben nicht ganz schuldlos. Er hatte an dem Kotten und dem Staudamm verschiedene Aenderungen vorgenommen, die nicht der Konzession entsprachen, und die die bestehenden Rechte der Anlieger gefährdeten.

Um diesen Streit wieder zu schlichten, wurden Gutachten der Kreisbaumeister Muß und v.d. Bruck eingeholt, auch der Geometer Stiehl mußte Ermittlungen anstellen, ob die Veränderungen der Konzession entsprachen. Dieses scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein, denn der Landrat Melbeck schrieb am 14. Aprl 1859 u.a., daß dem Koch der seit einigen Jahren fortgesetzte Betrieb nicht untersagt werden könnte, es bliebe nur noch übrig, die Bestrafung des Koch zu veranlassen, falls derselbe von den Bedingungen der Konzession abweiche.

Mit diesem Schreiben schließt die Akte, die in der Zwischenzeit einen ganz ansehnlichen Umfang erreicht hatte.



Weshalb sich Preuß so schnell wieder von dem Kotten samt Wohnhaus mit Nebenhaus, Scheune und Stallung trennen wollte, ist nicht überliefert. Möglicherweise spielten gesundheitliche Gründe eine Rolle, da er auch bereit war, sein Anwesen zu verpachten:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 2. Dezember 1854

Verkaufs-Anzeige.

Der auf nächsten Samstag den 2. Dezember lauf. J. auf Anstehen von Friedrich Wilhelm Preuß zu Katternberg beim Wirthen Carl Hartkopf anberaumte Verkauf wird nicht an diesem Tage, sondern

am Samstag, den 9. December d.J., Nachmittags 2 Uhr,

daselbst stattfinden. Alsdann werden noch außer dem Kotten folgende zu Unten-Pilghausen liegende Immobilien zum Verkaufe kommen, nämlich:

1) ein zweistöckiges Wohnhaus mit halber Scheune und Stallung, von Verkäufer Preuß selbst bewohnt, mit 20 Ruthen Grundfläche und Hofraum, sowie 36 Ruthen Garten.
2) 4 Morgen Ackerland in 2 Parzellen.
3) 35 Ruthen 40 Fuß und 20 Ruthen 20 Fuß Wiese;
4) eine Nebenwohnung mit halber Scheune, von Gustav Wichelhaus bewohnt, nebst 20 Ruthen Grundfläche und Hofraum, sowie 36 Ruthen Garten.

Im Falle diese Immobilien nicht den Zuschlag erhalten, können solche vom Requirenten angepachtet werden. Der Besitz-Antritt erfolgt am 1. Mai künftigen Jahres.

Solingen, den 27. November 1854.
Dahmen, Notar.




Eigentümer Koch und Spielberg

Den Zuschlag erhielt, wie im Artikel erwähnt, der Scherenfabrikant Friedrich Koch zu Kirschheide. Er ließ am 23. März 1856 den Schleifkotten mit Wohnung und Stall mit 800 Reichstaler gegen Feuer versichern. [Stadtarchiv H.A. III-F-3]

Weiterhin wollte Friedrich Koch seine Kottenanlage u.a. durch den Einbau von Stauschütz, Gewaltschütz und Überfall vor Schaden bewahren, für den Fall, dass durch starke Regengüsse größere Wassermassen aus dem Pilghauser Tal herunter flössen. Er beantragte die Erlaubnis zur Änderung bei dem Höhscheider Bürgermeister Peter Daniel Berger (Namensgeber der Bergerstraße in Höhscheid), der Folgendes in der Presse bekanntgab:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 15. November 1856

Der Herr Friedrich Koch zu Kirschheide beabsichtigt für folgende Veränderungen an seinem am Katternberg-Pilghauser Bache gelegenen Schleifkotten die polizeiliche Erlaubniß zu erwerben:

1) das Wasser nicht nach dem früheren Projecte durch einen Flößgraben längs dem Busche, sondern oberhalb des jetzigen Ueberfalles in den Wassersammelteich zu leiten und an dieser Stelle ein Stauschütz von 4 bis 6 Fuß Weite, sowie etwas tiefer hinunter ein Gewaltschütz und ferner einen Ueberfall von 3 á 4 Fuß Breite zur Abführung des Wassers in den Mutterbach anzulegen;

2) den Wassersammelteich bis zum Kottengebäude zu verlängern;

3) dem Wasserrade einen Durchmesser anstatt von 23 Fuß von 26 Fuß zu geben und die Stauhöhe auf 9,50 gleich der Höhe des Staudämmchen am jetzigen Ueberfall am Anfange des Flößgrabens festzusetzen.

Dies Unternehmen wird mit dem Bemerken zur öffentlichen Kenntniß gebracht, daß, wer sich dadurch in seinen Rechten gekränkt glaubt, in einer Präclusivfrist von 4 Wochen bei unterzeichneter Stelle Einspruch dagegen erheben kann, woselbst auch die Situations- und Nivellements-Pläne zur Einsicht offen liegen.

Höhscheid, d. 8. Nov. 1856
Der Bürgermeister P.D. Berger



"Karte und Nivellement über die Anlage eines Schleifkotten des Herrn Friedrich Koch" von April 1856 ist bei Lunkenheimer [S. 148 f] abgedruckt.

  Über die Stauanlagen der Kotten

Bis 1864 blieb der Pilghauser Kotten im Besitz von Friedrich Koch. Später betrieb Carl Spielberg sen. mit seinem Bruder Franz Spielberg im Pilghauser Kotten eine Messer-Schalenschneiderei.

Ab wann der Kotten nur noch Wohnzwecken diente, ist nicht bekannt. Das idyllisch gelegene Fachwerkgebäude ist noch vorhanden. Von dort aus führt ein auf eigene Gefahr zu betretender schmaler Privatweg über eine kleine Brücke bachabwärts.




 
2008
Der ehemalige Pilghauser Kotten,
versteckt hinter sommerlicher Vegetation



Leben im Kotten

Erinnerungen an ihr Geburtshaus, den Pilghauser Kotten, hat Emilie Hölterhoff (1901-1998) in einem Artikel veröffentlicht, der viel zu schade ist, um im Solinger Stadtarchiv in einer Schublade vergessen zu werden. Die Familie der Autorin bewohnte und nutzte den Kotten in der Zeit 1888-1905. Hier sind einige Auszüge aus ihrem Text:

"[...] Der sogenannte Unterbau war als Betrieb eingerichtet, seitlich war noch ein großer Backofen, wo wir lange Zeit unser Brot selbst gebacken haben. Hochparterre und Mansarden boten reichlich Räume für eine so große Familie wie die unsrige. Nach meinem Vater Hermann Hölterhoff hieß der Kotten in all den Jahren nur der 'Hölterhoffs Kotten'.

Als ich geboren wurde, lebten noch zehn meiner Geschwister (ich blieb die Jüngste), immerhin waren es mit den Eltern, der Magd und den Gesellen etwa 14-15 Personen, die zu versorgen waren.

Die Maschinen im Betrieb wurden mit Wasserkraft angetrieben. Dazu wurde das Wasser des Pilghauser Baches in den Obergraben abgeleitet. Von dort lief es über ein sehr großes Wasserrad (meines Wissens das größte im Bergischen Land). Das Wasser konnte nach Bedarf abgestellt werden. [...] Der Kotten selbst steht noch heute als Wohnhaus, sein Aussehen hat sich durch Dach-Ausbauten etwas verändert. Das Rad existiert nicht mehr.

Aber wir waren keine Schleifer-Familie. Mein Vater fertigte Hefte (Griffe) für Bestecke an, vorwiegend aus Ebenholz. Die grob zugeschnittene Rohware wurde gekauft und ging als feinpolierte Fertigware an einige Solinger Firmen. Teilweise wurden auch die Messer und Gabeln von den Firmen angeliefert, dann mußten die Bestecke eingeharzt werden. Dazu wurde das erhitzte, flüssige Harz in die Bohrlöcher der Hefte geschüttet, die Erle der Bestecke hineingesteckt und sorgfältig 'eingepaßt', wo sich dann das Harz schnell erhärtete.

Üblicherweise war es Sache der Hausfrau, die fertige Ware abzuliefern. Ein etwa 10 cm dicker Tragring (gepolstert) mit schöner Perlenstickerei und Monogramm wurde auf den Kopf gelegt, und darauf erst kam der Korb mit der Fertigware. [...] Um der Mutter diesen Gang zu erleichtern, ging einer meiner Brüder bis auf den Berg mit und trug den Korb so lange auf seiner Schulter. Auf dem Heimweg wurde dann für den Haushalt eingekauft.

Das Pilghauser Bachtal war ein sehr einsames Tal (und ist es noch heute). Die Schule lag vielleicht 1/2 Stunde entfernt auf dem Katternberger Höhenzug. [...}

Aber eines trübte doch die Idylle. Abends zog oft der Nebel herauf und legte sich wie ein Bett in den Talgrund. Das führte bei meinem Vater zu einer Bronchitis und der Arzt riet dringend, auf den Berg zu ziehen. So sind wir denn nach Solingen in die Stadt gezogen. Es war nicht einfach, solch ein Umzug. Einmal die Möbel und dann noch das ganze Inventar des Betriebes. Mit sechs Pferden bespannt sind die Wagen bergan gezogen über holprige, steinige Wege, eine regelrechte Straße gab es damals noch nicht (ebensowenig wie heute).

In Solingen war zwar alles nach Wunsch, Strom, Licht, Motoren, aber es fehlte so viel. Das stille Tal, der nahe Wald, der Duft der Wiesen, das alles ließ sich hier nicht ersetzen. Der Kotten, das ganze Pilghauser Tal, blieb für die ganze Familie ein leuchtendes Erinnern an eine schöne, eine wunderschöne Zeit. [...]

[Emilie Hölterhoff]



 
Juli 2008
Blick von Siepen
auf das Pilghauser Bachtal



Namen

1850-1854   Wilhelm Preuß
1854-1864   Friedrich Koch
ab 1864   Carl und Franz Spielberg
1888-1905   Hermann Hölterhoff


Quellen:
  • Hölterhoff, Emilie: Leben im Kotten. Erinnerungen einer alten Solingerin. In: Bergische Blätter o.A./o.J.
  • Lunkenheimer (1990) S. 147-150
  • Oeffentlicher Anzeiger , Amtsblatt der Regierung zu Düsseldorf No. 878 / 1852
  • Rheinische Landeszeitung vom 12.10.1940 [RLZ]
  • Rosenthal Bd. 2 (1973)
  • Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 25.04.1846 / 02.12.1854 / 15.11.1856 [SKIB]
  • Solinger Tageblatt vom 24.08.1954 -n-

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