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Kuckesberger Kotten (Itter)

Kuckesberger Kotten
1964   Kuckesberger Kotten, Bergseite
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen
 
Lage
Geschichte und Eigentümer
Das Ende
Namen

Wolfgang Niederhagen im Kuckesberger Kotten



Lage

Der Kuckesberger Schleifkotten befand sich zwischen Ohligs und Haan unterhalb der Hofschaft Kuckesberg. "An einer Stelle, wo sich der Fluß wieder dem Buchenhang nähert, wachsen, nur für das kundige Auge sichtbar, auf einem hausgroßen Rechteck ganz dicht beieinander schlanke Erlen. Das ist die Stelle, wo der alte Schleifkotten stand". [Niederhagen]

Von der Hofschaft Kuckesberg aus führt ein kurzer Pfad hinunter ins Tal. Biegt man an seinem Ende rechts ab, hat man nach wenigen Schritten den Standort des Kuckesberger Kotten erreicht, der rechts des Weges gestanden hat. Die Stelle ist recht sumpfig. Die Befestigung des früheren Untergrabens ist noch zu sehen. Der Weg führt auf der anderen Itterseite nach Haan.

Der Untergraben scheint kurz vor dem Damm des Hochwasser-Rückhaltebeckens in einem Tümpel zu enden. Gleich hinter dem Kotten-Standort ist noch der alte Verlauf der Itter zu erkennen, die nach dem Abriss umgeleitet und in ein gerades, gemauertes Bett gezwungen wurde. Die Folge war, dass das Tal bis nach Hilden hinein unter Hochwasser zu leiden hatte. Und so wurde der Itterlauf wieder etwas naturnäher gestaltet.

In der Karte des Topographen Ploennies von 1715 ist der Kuckesberger Kotten links der Itter eingetragen.




Geschichte und Eigentümer

Anders als die meisten anderen Solinger Bachkotten wurde der Kuckesberger Kotten nicht nach seinem jeweiligen Besitzer, sondern nach seinem Standort unterhalb der Hofschaft Kuckesberg benannt.

Eine Schleiferei war an dieser Stelle bereits 1684 vorhanden, denn 1683/84 zahlte ein "Peter an dem Kuckelsberg" lt. Hebbuch des Rentmeisters Vaßmann (Nr. 15) 2 1/2 Ort Goldgulden Wassererkenntnis und Kottenpacht.

1732 nahm Clemens Grahe zur Verbesserung seines halben Schleifkottens am Kuckesberg ein Darlehen auf:

1732, 2.5 Obl. Protokoll
      Clemens Grahe, Mankhausen oo Anna Marg. Grahe (Obenmankhaus)
      300 Ta.
      Pfand: Erbgut zu Mankhaus, wie bei Erbtheilung durch Loos anerfallen,
             wie auch Verbesserung des halben Schleifkottens am Kuckesberg
      (lt. Taxbuch Schnittert 1779 gehörte ursprünglich Grund und Boden
      des Kottens zum Peter Kratz Guth zu Kuckesberg)
[Grah]

1750 war wieder ein "Peter auf'm Kuckelsberg" steuerpflichtig, diesmal mit 70 Albus gelistet im Rentmeisterei-Jahresabschluss des Rentmeisters Kannegießer; 1755/56 war es Clemens Grahe. "In dem Tax- und Matriculbuch der Honnschaft Schnittert wird 1779 Johann Peter Grahe am Kuckelsberg als Kotteneigentümer genannt.

Im Jahre 1784 wird noch Johann Peter Grohen (Groh = mundartlich für Grah) genannt; gleichzeitig wird bemerkt, daß der ' Kugbergerkotten' ein 'kleines Geläuf' hatte. 1787 wird Abraham Grahe erwähnt" [Lunkenheimer S. 76],

  wahrscheinlich in der auch an anderer Stelle zitierten Besprechung des Benrather Kommissars Frhr. von Franz mit den Schleifern und Müllern an Itter und Lochbach.

Grah ergänzt:

1808  Steuerbuch Kirchspiel Wald (II B 16)
      Seite 1016 Kuckesberg
      Johann Abraham Grah mit Schleifkotten 7 1/2 Morgen Tax 14 alb.
    

1837 waren laut "Brandkaster der Gemeinden Merscheid, Schnittert und Barl" F. Mutz und Daniel Grah Eigentümer. Sie hatten - wohl in weiser Voraussicht - Schleifkotten und Radhaus ab 26. Mai 1837 mit 600 Talern versichert und mussten dafür jährlich 1 Rhtlr. Beitrag zahlen. 1839 werden Gebrüder Mutz und Wilhelm Grah angegeben. 1870 betrug die Versicherungssumme 2 000 Taler. [Stadtarchiv Solingen, Akte H.A.IV-F-1, Brandkataster 1837, Nr. 679]

1839 wollte sich Daniel Grah von seinem Kottenviertel trennen:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 9. Januar 1839

"Da ich Willens bin, meinen Antheil, nämlich ein Viertheil des auf der Itterbach, beim Kuckesberg gelegenen Schleifkottens, welcher zum Messerschleifen eingerichtet ist, aus freier Hand zu verkaufen, so ersuche ich die darauf Reflectirende, sich deshalb bei W. & Dan. Dültgen junior zu unten Herberg, oder bei mir selbst um das Nähere zu befragen; auch kann auf Verlangen der Kaufschilling gegen gute Sicherheit stehen bleiben.

Garzenhaus, Gemeinde Merscheid, den 7. Jänner 1839."
Daniel Grah.



Um 1839/40 brannte der Kuckesberger Kotten ab [Lunkenheimer]; er wurde um 1840 neu aufgebaut.

Das Solinger Tageblatt schrieb am 22.08.1959:

"Der jetzige Bau ist schon der dritte, welcher auf diesem Grundstück steht. Er wurde, nachdem sein Vorgänger total abbrannte, um das Jahr 1840 erbaut. Der erste in der Reihe war wohl weniger als Kotten, wie als Schleifstelle zu bezeichnen. Er bestand aus vier Pfosten und einem Dach, war also ohne Seitenwände und konnte nur im Sommer benutzt werden." Leider verrät der Verfasser nicht, woher die Auskünfte über diesen allerersten "Kotten" stammen.

1846 waren, wie aus dem bei Lunkenheimer abgebildeten Lageplan hervorgeht, Wilhelm Grah und Ferdinand Mutz Eigentümer des Kottens, "als Miterbe und im Auftrag seiner Mutter Wittwe Grah" ist auch Gustav Grah genannt. Für 1850 notiert Grah dieselben Namen.


Nivellement Kuckesberger Kotten
 
Ausschnitt aus dem Lageplan und Nivellement Klaaskotten und Kuckesberger Kotten von 1846.

Stadtarchiv Solingen;
Abb. bei Lunkenheimer S. 78 f

1856 wurde offenbar den damaligen Besitzern, dem Schleifer Johann Wilhelm Grah und Genossen zu Keusenhof, der nun 16 Jahre alte Kotten zu klein. Sie entschlossen sich, ihn abzubrechen und an seiner Stelle einen größeren zu errichten:


Bergisches Volksblatt No. 49, 8. Jahrgang vom 17. Juni 1856
"Bekanntmachung.

Die Besitzer der sogenannten Kuckesberger Schleifkotten, Schleifer Johann Wilhelm Grah und Genossen zu Keusenhof, beabsichtigen diesen Kotten abzubrechen, und denselben so wieder aufzubauen, dass derselbe die Grundstücks Nro. 312, 313 und 302 in Flur 3 berührt, bei welchem Neubau das obere Gerinne am Schalte sich nur ein wenig ändert. Das Abflußgerinne aber erhält vom Anfangspunkte aus auf eine kurze Strecke ein anderes Bett.

Indem ich dieses Vorhaben hierdurch bekannt mache, bemerke ich, dass die aufgenommenen Zeichnungen und Beschreibungen während 4 Wochen bei mir zur Einsicht offen liegen, während welcher Frist etwaige Einreden hiergegen bei mir vorgebracht werden können.

Merscheid, den 10. Juni 1856.
Der Bürgermeister: Tilmes."

[Stadtarchiv Solingen]


Im Öffentlichen Anzeiger, dem Amtsblatt der Regierung in Düsseldorf, erschien 1868 folgende Anzeige:


Öffentlicher Anzeiger, Nummern 1570 und 1631, 1868

"Der Besitzer des auf der Itterbach belegenen sogenannten Kuckesberger Kotten, Schleifer Wilhelm Grah, Ferdinand und Gustav Mutz, beabsichtigen das 10 Fuß hohe Wasserrad um 1/2 Fuß zu erhöhen, so daß dasselbe eine Höhe von 10 1/2 Fuß erhält und das 4 Fuß breite Schalt um 2 Fuß zu erbreitern, so daß dasselbe eine Breite von 6 Fuß erhält.

Ohligs den 14. Juli 1868."

[Zit. bei Lunkenheimer]


Es kommen hier mehrere Personen der großen Familie Mutz infrage. Zum Beispiel:

  Gustav Mutz kann Sohn von Carl Ferdinand Mutz und Caroline Herder sein, * 13.07.1823, Heirat mit Helene Rademacher am 29.10.1844, wohnhaft in Trotzhilden, Maubeshaus, Kuckesberg, Keusenhof, oder
  dessen Sohn Gustav, * 01.04.1846, wohnhaft in Kuckesberg, später Trotzhilden.
  Ferdinand Mutz kann ein Bruder des erstgenannten Gustav gewesen sein, * 11.02.1822.

Es kann sich auch um Söhne von Abraham Mutz und Karolina Konejung handeln:

  Gustav Mutz, * 18.07.1831, Heirat mit 1) Mathilde Hammerstein und 2) Alwine Fehrekamp; † 04.05.1862 in Hilden.
  Ferdinand Mutz * 20.04.1840, getauft in Hilden, Heirat mit Wilhelmine Grössgen, † 01.06.1874 in Hilden.
  Ein Ferdinand Mutz starb am 28.12.1889 zu Kuckesberg im Alter von 56 Jahren.
  Ein Ferdinand Mutz, wohnhaft in Wilshaus, erscheint mehrfach als Taufpate in den 1860er Jahren.


"Im Solinger Adressbuch von 1869/71 wird Gustav Mutz, der Schleifer vom Kuckelsberg angegeben. Um diese Zeit wurde der Schleifkotten mit allen Wasserrechten von der Familie Mutz erworben" und blieb bis zu seinem Abbruch in ihrem Besitz. [Lunkenheimer]

Übrigens - das Gefälle des Kuckesberger Kotten betrug 13 1/2 Fuß.


 
Kuckesberger Kotten, Belegschaft
1905   Die Kotten-Belegschaft. Stehend, 4. von links: Friedrich Mutz; sitzend, rechts: Bruder Hugo Mutz mit Sohn Walter. Bild-Quelle: Jürgen Mutz, 2005


 

Friedrich Mutz
(20.07.1862-
18.05.1909)



 
Kuckesberger Kotten, Belegschaft
 
Die Belegschaft des inzwischen recht lädiert aussehenden Kottens um 1914.
Vorn 3. von links: Hugo Mutz.

Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen


Das Solinger Tageblatt schrieb 1959, als der Kotten noch voll in Betrieb war:


Solinger Tageblatt vom 22.08.1959
Die Heinzelmännchen vom Kuckesberg

"[...] Der heutige Kotten war früher Gemeinschaftsbesitz mehrerer Schleifer und wurde in den 70er Jahren [1870er] von der Familie Mutz, in deren Besitz er noch heute ist, mit allen Wasserrechten erworben. Das Wasserrad, ehemals aus Holz, wurde 1890 durch ein Eisenrad, welches noch immer seine Dienste tut, ersetzt.

In den früheren Jahren ging es, wie wohl in den meisten Kotten, recht lustig zu. Der blaue Montag galt als fester Feiertag [...].

Die ganz alten Schleifer wissen noch um die Legende der 'Heinzelmännchen vom Kuckesberger Kotten', die den Schleifern in der Nacht die Messer schliffen und am nächsten Morgen fertige Arbeit hinterließen. Bis ein neugieriger Geselle sich auf dem Speicher versteckte, um durch ein Loch in der Decke zu spionieren. Die Heinzelmännchen jedoch entdeckten ihn [...]. Seitdem wurden sie nicht mehr gesehen.

Heute sind noch acht Schleifer in dem Kotten beschäftigt. Ein Raum wurde an einen Kunstmaler [= Wolfgang Niederhagen] vermietet, der darin sein Atelier aufgeschlagen hat.

Trotzdem heute die Arbeitsräume sehr knapp sind, finden sich doch immer weniger Schleifer, die einen so weiten Arbeitsweg auf sich nehmen wollen. Auch kann so ein 120jähriger Bau natürlich nicht mit modernen Arbeitsräumen in der Stadt verglichen werden. So werden wohl im Lauf der Zeit auch die letzten alten Schleifkotten an unseren Flüssen stillgelegt werden."


Hilfreiche Heinzelmännchen gab es auch an der Wupper.




Das Ende

Im Jahr 1965 sollte das Regenrückhaltebecken Kuckesberg gebaut werden. Im Jahresbericht 1964 des Itterverbandes ist ein Plan des betroffenen Gebietes abgedruckt, auf dem der Kuckesberger Kotten - ohne Bezeichnung - eingetragen ist.

Im Juli 1964 hatte der Regierungspräsident in Düsseldorf den Planfeststellungsbescheid für die Anlage des Regenrückhaltebeckens Kuckesberg erteilt. Mit den Bauarbeiten wurde 1965 begonnen. Mit dem Bau des Regenrückhaltebeckens war ein gleichzeitiger Ausbau der Itter mit teilweiser Verlegung auf einer Gesamtstrecke von 560 m verbunden, um den "Zu- und Ablauf in geordnete Bahnen zu lenken". Lt. Bericht erhielt das Regenrückhaltebecken ("die größte Anlage dieser Art im Verbandsgebiet") bei Stauziel einen Stauraum von 120.000 m3 und hat bei Erreichung des Höchststaues ein Stauvolumen von 153.000 m3.
[Itterverband, Jahresbericht 1964, S. 20]


Kuckesberg
 
2004
Hofschaft Kuckesberg
In der Werkstatt (Mitte) hat Schleifer Mutz
nach dem Abriss seines
Itter-Kottens weitergearbeitet.

1966/67 wurde das Kottengebäude durch den Itterverband abgebrochen. [Lunkenheimer S. 77] Heute ist hier der Bergisch-Rheinische Wasserverband zuständig.

Damit war die Geschichte des Schleifkottens aber noch nicht ganz zu Ende, wie ich von einem Bewohner der Hofschaft Kuckesberg erfuhr, der den Kotten noch in seiner "aktiven" Zeit erlebt hat: Der letzte Schleifer, Günther Mutz, zog mit der Kotteneinrichtung in ein Fachwerkgebäude auf dem Berg um und arbeitete dort mit Stromantrieb weiter. [K.L.].




Namen

1683/84   Peter an dem Kuckelsberg
1750   Peter auf'm Kuckelsberg
1755/56   Clement Grahe
1779   Johann Peter Grahe
1784   Johann Peter Grohen (= Grah)
1837 F. Mutz und Daniel Grah
1839   Gebrüder Mutz und Wilhelm Grah
1846   Wilhelm Grah und Ferdinand Mutz
1856   Johann Wilhelm Grah
1868   Wilhelm Grah, Ferdinand Mutz, Gustav Mutz



Wolfgang Niederhagen im Kuckesberger Kotten

Der Haaner Kunstmaler Wolfgang Niederhagen hatte im Kuckesberger Kotten bis zu seinem Abriss einen Raum als Atelier gemietet. In seinem Buch "Auf Schritt und Tritt" beschreibt er auf recht anschauliche bis deftige Weise, was er mit den Schleifern dort erlebte. Der Textauszug ist mit seiner Genehmigung hier wiedergegeben.

  Wolfgang Niederhagen: Der Maler


Wolfgang Niederhagen
 
Foto:
© Niederhagen

Auszug aus:
Auf Schritt und Tritt. Erinnerungen
von Wolfgang Niederhagen


"... An einer Stelle, wo sich der Fluß wieder dem Buchenhang nähert, wachsen, nur für das kundige Auge sichtbar, auf einem hausgroßen Rechteck ganz dicht beieinander schlanke Erlen. Das ist die Stelle, wo der alte Schleifkotten stand, in dem sich einst mein Atelier befand, mein erstes Atelier, welches ich mir nach dem Studium der Malerei einrichtete.

Das schwarzweiße Fachwerkgebäude hatte seine gut hundert Jahre auf dem Buckel, war schon etwas heruntergekommen, doch das mächtige eiserne Wasserrad drehte sich wie eh' und je und trieb mit Hilfe abenteuerlicher Transmissionen Pliestscheiben und große Steine an. Das ganze Haus ächzte, wenn das Rad sich drehte und der leichte Modergeruch des schäumenden Wassers durchzog alle Räume.

Wolfgang Niederhagen: Schleifer

Das selbständige Schleiferhandwerk war auf dem Rückzug und deshalb stand auch eine Schleifstube leer, die mir für geringe Pacht überlassen worden war. Mit den Männern verstand ich mich auf Anhieb gut, doch ich brauchte einige Zeit, um mich an die Geräusche im Haus zu gewöhnen. Es war nicht das Rumoren des Rades, das Kreischen der Steine oder der Gesang der Männer, was mich aufhorchen ließ, sondern die Geräusche des Feierabends, wenn das Haus leer war und ich einsam am Zeichentisch saß.

Der Kotten hatte ein oberschlächtiges Wasserrad und obwohl zum Feierabend das Schütt geschlossen wurde, rann immer noch etwas Wasser aufs Rad, füllte einige Schaufeln nach und nach mit einer beträchtlichen Wasserlast, von der sich das Rad plötzlich mit einer Umdrehung befreite. Dann rauschte es auf einmal im Graben unterm Haus, die Riemen der Antriebe begannen zu klatschen, die Achsen der Transmissionen zu quietschen. Danach war es wieder still bis auf das Gurren der Brieftauben, die über mir auf dem Speicher ihre Schläge hatten.

Wenn es dunkel wurde, ging es dann richtig los. Es begann ein Gerenne, Gerumpel und Gepfeife über meinem Kopf, daß es mir im Anfang schwer fiel, an Mäuse zu glauben. Doch sie feierten jeden Abend ihre Taubenfutterorgie und es war keine Katze im Haus, die ihnen Einhalt geboten hätte.

An einem kalten Winterabend, als es durch alle Ritzen zog und der Ofen fast glühte, glaubte ich, es komme jemand die Treppe hoch oder gehe nebenan in der Schleifstube hin und her. Ich brauchte einige Zeit, bis ich dahinterkam, daß es Ratten waren, die, von Hunger getrieben, durch die Riemenschächte ins Haus drangen, das Fett aus den Achslagern fraßen und Treibriemen annagten.

Als sie es in einem strengen Winter zu toll trieben, wurde es dem Besitzer des Kottens, dem dicken Mutz, zu bunt. Er brachte seine Doppelflinte mit und traf geheimnisvolle Vorbereitungen. Auf dem Damm des oberen Grabens, durch den das Wasser aufs Rad floß, befreite er, von einem Fenster gut einzusehen, eine größere Fläche von Schnee und installierte eine Glühbirne, die in der Dunkelheit ausgestreutes Futter schwach erleuchtete. Zunächst waren die Ratten äußerst mißtrauisch, huschten nur vereinzelt aus der Dunkelheit zu der Stelle unter dem schaukelnden Licht und untersuchten nur kurz das Dargebotene.

Doch von Abend zu Abend wurden sie unvorsichtiger und erschienen immer zahlreicher am gedeckten Tisch. Als sie alle Vorsicht vergessen hatten und am Futterplatz regelrecht Gedränge herrschte, feuerte der listige Mutz durchs angelehnte Fenster aus beiden Rohren. Das Massaker war perfekt, zwei breitgestreute Schrotladungen hatten Verheerendes angerichtet.

Nun hätte es ja genügt, die Leichen itterabwärts treiben zu lassen, doch der dicke Mutz wollte auf Ruhm und Spaß nicht verzichten. Er knotete immer zwei Opfer mit den Schwänzen zusammen, hängte sie über den Schleifplätzen gut sichtbar an die Lampenhaken und lachte sich halbtot, als am Morgen die Männer zur Arbeit erschienen und mit einer Mischung aus Ekel und Anerkennung auf die erlegten Ratten starrten. Den Rest des Winters hatten wir Ruhe." [S. 85-89]

Wolfgang Niederhagen: Erlegte Ratte

"Die Späße der Schleifer waren überhaupt recht drastisch. Als an einem schönen Sommertag zwei Nonnen durch das idyllische Tal spazierten, um sich an Gottes schöner Schöpfung zu erfreuen, machten die Männer gerade Frühstückspause. Alle Räder standen still, wie ausgestorben lag das Haus am Fuß des hoch emporragenden Waldes.

Die Nonnen glaubten eine verlassene Mühle vor sich zu haben und so hob eine von Ihnen, einem dringenden Bedürfnis folgend, ihre Röcke, entblößte ihr weißes, zu ihrer dunklen Ordenskleidung in scharfem Kontrast stehendes Hinterteil und hockte sich an den Fuß einer Buche, um ihrem Drang freien Lauf zu lassen. Nun hätte jeder andere unfreiwillige Zeuge bei solch einer delikaten Sache seine Blicke keusch abgewendet, stattdessen brachen die Schleifer, welche hinter dem geöffneten Fenster saßen, in ein höllisches Gelächter aus, was zur Folge hatte, dass die arme Ordensfrau in Panik davonstob, so, als sei der Satan höchstpersönlich hinter ihr her." [S. 89 f]

 
Kuckesberger Kotten
 
Foto:
© Niederhagen

"... Als ich ein Bild von den arbeitenden Männern malte*, die tiefgebeugt über ihren Scheiben saßen, blieb mir nichts anderes übrig, als dauernd zwischen meinem Atelier und der Schleifstube hin und her zu pendeln, um so das optisch Aufgenommene auf die Leinwand zu übertragen, denn ein Arbeiten vor Ort war aus Platzgründen nicht möglich. Zu Gunsten der Komposition nahm ich, wie ich meinte, unwichtige Änderungen vor, von denen jedoch eine die Männer etwas verstimmte. Sie hatten mit einem Blick bemerkt, daß auf dem Bild statt sechs nur fünf Arbeiter zu sehen waren. Als sie vor dem fertigen Bild standen, schubste mich der taube Fehrekamp an und schrie mir ins Ohr: »Du häs'ser e-inen verjeten!«" [S. 95] ...

... "Eine Wasserbaumaßnahme großen Stils sorgte dafür, daß die Itter in eine schnurgerade Steinrinne gelegt, der Talausgang mit einem Damm verriegelt und der Kotten geschleift wurde. Sie war nötig, um die Stadt Hilden vor Hochwasser zu schützen. Es war kein leichter Abschied für mich von dem Haus, den Männern und dem romantischen Tal." [S. 98]

*) Das Bild ist heute im Besitz der Stadt Haan.


© 1999 Wolfgang Niederhagen



  Ittertal - Kuckesberger Kotten


Quellen:
  • Clauberg (Rentmeisterei-Jahresabschluß von 1750) [ST]
  • Grah, Hans: Kotten und Mühlen an der Itter; Ergänzungen. Stadtarchiv Solingen (1990)
  • Grah, Hans (1990), StA SG 0-4
  • Hermanns (1925), Hebbuch 1683/84
  • Itterverband, Jahresbericht 1964, S. 20
  • Lunkenheimer (1990) S. 76 f
  • Niederhagen (1999)
  • Solinger Tageblatt vom 22.08.1959: Die Heinzelmännchen vom Kuckesberg
  • Stadtarchiv Solingen, 0-4-Kotten
  • Stadtarchiv Solingen, Akte H.A.IV-F-1, Brandkataster 1837, Nr. 679

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