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Der Zweite Weltkrieg in Wuppertal


Zerstörungen

Nach Ermittlung der Bauverwaltung vom 23.06.1946 wurden in Wuppertal während des Zweiten Weltkriegs fast 42 000 Wohnungen total zerstört und fast 28 600 Wohnungen schwer beschädigt.
[Krüger / Metschies S. 13]


Abb. bei Krüger / Metschies S. 13


Die Zerstörungen in Langerfeld

Die Bomben hatten den Bahnanlagen gegolten, aber sie trafen außerdem die Brücken Leibuschstraße, Spitzenstraße und Clausewitzstraße. Zerstört wurden die Kreuzkirche, die Pfarrhäuser der evangelischen und katholischen Gemeinden, das alte Vereinshaus Inselstraße, das Waisenhaus "Wilhelminenstift", die Friedhofskapelle Kohlenstraße und die Schulen Dahl, Leibusch, Oehde und Wulfeshohl.

Die Alte Kirche, das Jugendheim Marbodstraße, die Turnhalle an der Fritz-Harkort-Schule und viele Fabrik- und Wohngebäuden standen nicht mehr oder waren schwer beschädigt. Glaubt man der Überlieferung, so sollen der Krieg und die Zerstörungen in Langerfeld bereits vor zweihundert Jahren geweissagt worden sein - eine Geschichte, die ich schon als Kind so gehört habe.

Das Ausmaß der Schäden ist heute kaum noch vorstellbar. In einer Liste sind die Zerstörungen der Gebäude in Langerfeld mit mehr als 50% zusammengestellt. Sie ist unvollständig, da die Aufnahme aufgrund des Einmarschs der Amerikaner nicht beendet wurde. An 161 Gebäuden wurden Schäden "unter 50%" ermittelt.

Gebäude mit Schäden von mehr als 50%:

Clausewitzstraße 82-84
Zu den Dolinen 82
Ehrenberg 17
Gibichostraße 20, 22
HebbeckerStraße 4, 11, 15

Inselstraße 24
Langerfelder Straße 19, 21, 27, 29, 40,42, 77, 90, 91, 96, 98, 101, 104, 107, 109, 111, 112, 113, 114, 115, 120, 125, 145, 146, 147, 148, 150
Langwielerstraße 12
Marbodstraße 1, 5-7, 6, 7a, 9, 13, 23, 25
Meiningerstraße 20

Odoakerstraße 6
Oehder Straße 3, 25
Paul-Gerhardt-Straße 5
Höfen 32, 58, 60, 62, 62a, 68a, 100a
Klippe 6, 50

Leibuschstraße 2, 3, 5, 9, 11, 13, 15, 17, 19,21,23,25, 27
Lippestraße 11, 13, 15, 16
Oldenburgstraße 14
Rauental 75, 123
Braunschweigstraße 3, 5

Badische Straße 1
Detmolder Straße 15, 17, 19, 20
Bökenbusch 40
Buschenburg 11, 13, 30, 32, 33, 38, 40
Caronstraße 18, 20, 40, 42

Württembergstraße 5, 7, 15
Schwelmer Straße 17, 27-29, 31, 54, 66, 77, 95, 97-99, 111
Spitzenstraße 27
Starenschloß 1
Starenstraße 14

Thüringer Straße 5
Tönniesstraße 4
Weddigenstraße 20, 35, 37, 39, 43
Wilh.-Hedtmann-Straße 10, 11, 17
Windthorststraße 6a

Brandenburgstraße 9, 14
Dahler Straße 72
Jesinghauser Straße 7, 77, 79, 81, 83
Kohlenstraße 76
Wiener Straße 87a, 90

Nassaustraße 21
Am Werloh 10-12.

Am 13. und 14. April 1945 lag die Stadt unter Artilleriebeschuss der Amerikaner, die von der Schwelmer Höhe nach Langerfeld und Nächstebreck schossen. Tote und Verletzte waren zu beklagen. Auch am 15. April, dem 32. Geburtstag meiner gerade ausgebombten Mutter, kam es noch zu Artillerieduellen. Über den Ehrenberg und aus Richtung Schwelm besetzten die amerikanischen Truppen mit Panzern und Jeeps Langerfeld. Die Zivilbevölkerung hisste weiße Fahnen. Für Langerfeld war der Krieg "offiziell" zu Ende, nicht aber die Not. Am 16. April 1945 kapitulierte Wuppertal. Am 1. Juni 1945 wurde Langerfeld in die britische Zone einbezogen.




Erinnerungen

Die schlimmen Erfahrungen des Krieges sind noch nicht ganz vergessen, wenn auch diejenigen, die ihn bewusst als Erwachsene miterlebten, immer weniger werden. Viele Erinnerungen und Erlebnisse sind in Zeitzeugenberichten festgehalten, gedruckt und archiviert. Vieles aber wurde nie ausgesprochen, und Manches nur innerhalb der Familie überliefert, ohne je niedergeschrieben worden zu sein.

Beim Nachlesen in den Zeitzeugenberichten fallen den "Nachfahren" manchmal Bruchstücke, Ausschnitte, Details des Gehörten wieder ein. So geht es mir, und so ging es auch einem Leser, der einige Erinnerungen und Anekdoten zur Veröffentlichung an dieser Stelle zur Verfügung gestellt hat:

"Unsere verstorbene Tante Anna Reunert (genannt Änne), verw. Dünnweg, geborene Ahrens, hatte seit dem 08.11.1935 bis zu ihrem Tod am 22.02.2004 in der Brandenburgstr. 4 in Wuppertal-Langerfeld gewohnt. Sie berichtete uns von ihren Erlebnissen in nationalsozialistischer Zeit:

Am 15.01.1943 sollte ihr erster Ehemann zur Brandwachenbelehrung in die Zinkstraße kommen. Unsere Tante verhinderte dies: »Du bist krank und gehst nicht! Wenn du gehst, bist du bald an der Front!« Er war ausgemustert bis zuletzt auf Grund von schwerstem Asthma! Und es kam, wie es kommen musste. Der Blockwart erschien und drohte mit KZ-Einweisung, um die er sich nun persönlich kümmern werde. Da lernte er unsere Tante kennen! Sie sagte ihm: "Da müssen wir aber mal offen darüber nachdenken, warum Sie noch nicht eingezogen sind und an der Front, wo doch all unsere Männer im Feld sind! Was machen Sie eigentlich noch hier?« Er ging, und es geschah nichts. Er ließ alle in Ruhe. Unsere resolute Tante hatte ihm die Zähne gezeigt!

Dann war da ein jüdischer Metzger in Langerfeld, der von der 'braunen Horde' boykotiert wurde. Trotz SA-Wache kaufte sie anfangs weiterhin bei ihm ein. Das brachte die SA auf die Palme, zumal unsere Tante sich dumm stellte: »Ach, das weiß ich ja gar nicht, dass ich hier nicht kaufen darf. Das hätten Sie mir aber vorher sagen müssen!« Später wurden die Schikanen durch die SA so schlimm, dass sie es nicht mehr wagte, dort einzukaufen.

In den Kriegsjahren 'organisierte' sie sich einmal in der Lüneburger Heide ein Schaf und brachte es durch die Kontrollen nach Hause. Die Transportkiste steht heute bei uns im Keller; das Blut ist noch zu sehen.

Tante Änne erzählte uns von den Angriffen auf die Firma Bemberg, für die sie arbeitete, und auf Langerfeld. Sie berichtete immer wieder, dass nach einem Angriff mit Brandbomben die Leute brennend in die Wupper gesprungen seien und dennoch bei lebendigem Leib verbrannten. Die Straße war so heiß, dass fliehende Menschen im Teer stecken blieben. Als die Friedhofskapelle an der Langerfelder Kohlenstraße getroffen wurde, war dort gerade eine Trauergemeinde anwesend. Die Toten, incl. Pfarrer, hingen auf dem Friedhof in den Bäumen. Es muss ein sehr schrecklicher Anblick gewesen sein.

Nach einem Bombenangriff, bei dem ein Haus in der Nachbarschaft getroffen worden war, hingen ihre Vorhänge in Fetzen. Die Stadt wollte ihr keinen neuen Bezugsschein ausstellen, da sie sechs Wochen zuvor gerade erst einen erhalten hatte. Es half auch nichts, dass sie sich auf die Verdunklungspflicht berief. Daher blieb sie noch im Flur der Behörde sitzen, als das Personal nach Hause wollte. Unsere Tante hatte Zeit und streikte! Entnervt gab ihr der Beamte schließlich den Bezugsschein.

Als das Werk Bemberg getroffen wurde, entging sie nur dadurch dem Tod, dass sie nach Feierabend nicht, wie üblich, mit den Kolleginnen entlang der Bahnstrecke nach Hause ging, sondern dem Gefühl nach ganz anders als sonst. Das rettete ihr Leben. Die anderen Frauen hat sie nie wieder gesehen.

Den Werkmeister, der die Kriegsgefangenen bzw. Fremdarbeiter bei Bemberg sehr schlecht behandelt hat, wollten diese nach dem Krieg bei meiner Tante abholen bzw. dessen Adresse haben. Sie gab keine Auskunft: »An dem mache ich mir nicht die Finger schmutzig!« Dass sie die Kriegsgefangenen anständig - wie Menschen - behandelt hat (sie war Ausbilderin an den Spulmaschinen), zahlte sich nach dem Krieg aus."

[Klaus-Wilhelm Kratz, 2009]



Einberufung zur Unterweisung in die Brandbekämpfung.
Bild-Quelle: Klaus-Wilhelm Kratz, 2009


Polizei - Revier 18         Wuppertal, den 29.12.42
Einberufung
[...] Auf Grund des Erlasses des RdLuObdL [= Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe] vom 5.6.1942 werden Sie zu einer Unterweisung in der Brandbekämpfung von 1 Doppelstunde am 15.1.43 in der [...] Zink-Strasse, beginnend um 19,30 Uhr einberufen.
Unentschuldigtes Fernbleiben hat Bestrafung zur Folge. Es empfiehlt sich für zweckmässige Bekleidung für die Brandbekämpfung Sorge zu tragen. Die Volksgasmaske ist mitzubringen.
Das Schreiben ist im Lehrsaal abzugeben.
Der Reviergruppenführer des Reichsluftschutzbundes:         Der Revierführer:







Randnotizen

Das "Wuppertaler Heimatlied" und die anderen, von meiner Mutter mit Bleistift in ein kleines Heftchen voller poetischer Verse und Liedertexte geschriebenen Reime sind Versuche, das Grauen des Bombenkrieges in Worte zu fassen - Worte für etwas zu finden, wofür es eigentlich keine gibt. Wer sie ursprünglich gedichtet und wer was je nach der eigenen Situation hinzugefügt hat, wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen.


Wuppertaler Heimatlied

Wo des Abends die Sirenen geh'n
und die Scheinwerfer am Himmel steh'n,
wo die Bomben fallen aus dem Flugzeug heraus,
da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus.

Wenn mich einer fragt, wo ist dein Heimatland,
wollt' ich sagen, am schönen Wupperstrand.
Doch zwischen Berg und Hügel liegt ein Trümmerfeld,
das waren einst Barmen und Elberfeld.

Aus den Trümmern ein leises Raunen klingt,
ein Lied von Freud' und Leiden singt.
Wo du einst froh und glücklich gewesen bist,
heut' in Schutt und Asche die Erinnerung ist.

Heimat, Heimat, wie warst du so schön,
ich möcht' trotz allem nicht von dir geh'n.
Es leuchten unsere Sterne mit hellem Schein,
und in weiter Ferne denke ich dein.

[1945]

In Barmen, in einsamer Nacht
da hat es gebumst und gekracht.
Der Tommy kam ganz leis',
und es wurde furchtbar heiß.
Die Bomben, die fielen in Reih'n,
und Phosphor mußte es sein.
Brandbomben flogen wild umher
es war ein schreckliches Malheur.

Es ging alles vorüber
und das Feuer ging aus.
Alles verloren,
die Wohnung, das Haus.
Bombengeschädigt, dazu noch total,
mach dir keine Sorgen, es ist alles egal.

Und als die Nacht war zu End',
da stand ich im einzigen Hemd.
Mein Anzug war dahin
und rauchgeschwärzt mein Sinn.
Mein Hut war ohne Rand,
die Schuhe halb verbrannt.
Aber ich hielt in der Hand
eine Tüte mit Luftschutzrand!

Und wie ich von einsamer Höh'
so über mein Barmen seh,
von Oberbarmen bis zum Loh,
ist einfach nichts mehr do.
Da dacht' ich in meinem Sinn,
wo gehste jetzt bloß hin?

Ich zog, ich war ja abgebrannt,
zum nächsten Kriegsschädenamt.

Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei.
Bombengeschädigt, wer hat 'n Bett für mich frei?
Geld in der Tasche, Bezugsscheine auch,
läufst dir die Hacken ab mit hungrigem Bauch.

[A.F. zum 13.03.1945]

Mein Großvater, damals 71 Jahre alt, notierte seine Gedanken kurz und knapp auf der letzten Seite eines aus den Trümmern seines Langerfelder Hauses geborgenen Buches:



13.3.45.

Bomben über
Weddigenstr.
Kulturbild?
Hitlernero,
Diktator von
eigenen Gnaden.
Muster ohne
Wert. 3 Pf.

[O.F.]

Warum der Vergleich mit Kaiser Nero? Seit Anfang 1945 hatte Hitler angesichts der sich abzeichnenden totalen Niederlage immer häufiger mit dem wahnwitzigen Gedanken der vollständigen Selbstzerstörung Deutschlands gespielt. Mit unfassbarem Zynismus bemerkte er am 19. März (nach dessen Aussage) gegenüber seinem Rüstungsminister Albert Speer:

"Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch das deutsche Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitiven Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. [...] Im Gegenteil, es ist besser, die Dinge selbst zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört schließlich die Zukunft. Was nach dem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen. Die Guten sind gefallen."
[zitiert bei Schnöring S. 10]

Nur wenige Stunden später erließ Hitler im Führerbunker unter der zerstörten Reichskanzlei in Berlin den sogenannten Nero-Befehl, benannt nach dem wahnsinnigen römischen Kaiser, der im 1. Jh. angeblich Rom anzünden ließ, um den Anblick der lodernden Stadt zu genießen. Der Befehl, der in Wuppertal nicht ausgeführt wurde, lautete:

"... Alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind - für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit - nutzbar machen kann, sind zu zerstören..." - Am 30. April 1945 entzog sich dieser Führer jeglicher Verantwortung und zerstörte sich im Führerbunker mittels Gift und Schusswaffe selbst.





Literaturempfehlungen

Wer sich über die grauenvollen Bombenangriffe auf Barmen und Elberfeld und die Zeit danach anhand von Erfahrungs- und Erlebnisberichten von Zeitzeugen informieren möchte, dem seien z.B. die folgenden Bücher empfohlen (teils vergriffen, über Stadtarchive und Bibliotheken zugänglich):

  • Krüger, Norbert: Das Historische Wuppertal. Band III: Die zerstörte Stadt. Wuppertal-Barmen 1979

  • Krüger, Norbert / Metschies, Michael: Die Luftangriffe auf Barmen und Elberfeld vom 30. Mai und 25. Juni 1943. Mitteilungen des Stadtarchivs, des Historischen Zentrums und des Bergischen Geschichtsvereins - Abteilung Wuppertal e. V., 3. Aufl. d. Sonderheftes 1983/2

  • Pogt, Herbert (Hrsg.): Vor fünfzig Jahren. Bomben auf Wuppertal. Die Bombenangriffe auf Wuppertal am 30. Mai und 25. Juni 1943. Aufsätze und Zeitzeugenberichte. Wuppertal 1993

  • Schnöring, Kurt: Zwischen Bangen und Hoffen. Stunde Null in Wuppertal. Ende und Neubeginn 1945. Bottrop - Essen 1995

... und ganz besonders, rückblickend aus der Sicht und Erfahrungswelt eines 14jährigen Barmer Schülers geschrieben:

  • Warnecke, Hans: Hänschen, geh' plündern. Erinnerungen an 1945. Erlensee 1996

Lesenswert finde ich auch die 30 Seiten starke Erzählung - ebenfalls ein Detail aus einer Barmer Familiengeschichte - von



Quellen:
  • Kratz, Klaus-Wilhelm (E-Mail 04/2009)
  • Krüger / Metschies (1983)
  • Schnöring (1995)

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