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Bis 1730 hatte Frankreich seine blanken Waffen nicht selbst angefertigt, sondern bezog sie - schon seit Jahrhunderten - aus Solingen. Dann sollte sich dies ändern. In einem Gebiet im Elsass in der Nähe von Obernai (20 Kilometer von Straßburg) sollten Fabrikanlagen ähnlich denen in Solingen errichtet werden. Der dazu auserkorene Ort erhielt den Namen Klingenthal.

Die Tatsache, dass die Auswanderer "... an der Herstellung der Waffen beteiligt gewesen sind, die deutsche Menschen und auch ihre nächsten, in der Heimat verbliebenen Angehörigen in den französischen Eroberungskriegen zu spüren bekamen, bleibt eine traurige und schmerzliche Feststellung." [Brangs 1957] Wie es überhaupt eine traurige und schmerzliche Tatsache ist, dass es zwangsläufig die Herstellung von Kriegs- und Tötungswerkzeugen war, die Solingens Ruf als "Klingenstadt" begründet hat.




Der neue Produktionsstandort Klingenthal
und die externe Rekrutierung der Mitarbeiter

Vorbereitung

Bis 1730 kaufte die französische Armee ihre Waffen hauptsächlich in Solingen ein. Dann hielt es unter der Regierung des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV (1643-1715) der französische Staatsmann und Vertreter des Merkantilismus Jean Baptiste Colbert für richtig, die Volkswohlfahrt durch Förderung industrieller Tätigkeit im Lande und entsprechende Minderung der Einfuhr zu heben.

Dies sollte auch für die Blankwaffen gelten. Die französische Regierung wollte in Frankreich Fabrikanlagen nach Solinger Vorbild errichten lassen ("semblable à ceux qui fonctionnent à Solingen"). Sie beauftragte 1729 den damaligen Verwalter des Elsass d'Angervillers mit der Vorbereitung dieses Projekts.


Ludwig XIV
 
Ludwig XIV (1643-1715),
der "Sonnenkönig".
1688-97 Krieg gegen Deutschland,
Holland, Spanien und Savoyen.
Sein ökonomisches System, der Merkantilismus,
versagte infolge der kostspieligen Kriege.

Jean Baptiste Colbert (1619-1683),
französischer Staatsmann
 
Colbert

  Merkantilismus:
Von Colbert entwickeltes nationalökonomisches System, wonach der Reichtum eines Volkes vorzugsweise auf der Masse des baren Geldes bzw. der Edelmetalle beruht, die es besitzt. Daher das Bestreben, durch Warenausfuhr bei gleichzeitiger Drosselung der Einfuhr Gold und Silber aus dem Ausland heranzuziehen. Damit verbunden ist die staatliche Förderung der heimischen Industrie.


Nach eingehenden Verhandlungen auch mit Solinger Klingenhandwerkern wurde als Standort für die neue Fabrikanlage ein Gebiet im Elsass in der Nähe von Obernai (20 Kilometer westlich von Straßburg) ausgewählt. Dafür sprach, dass das Elsass als die dem Bergischen Land nächst gelegene französische Provinz von den angeworbenen Solinger Facharbeitern bequem zu erreichen sei, außerdem ließe sich dort der erforderliche Stahl gewinnen.

Mr. d'Angervillers verpflichtete den Industriellen Henry Anthés, der schon seit Jahren im Elsass Eisen und Stahl produzierte, für die neue Aufgabe. Die französische Regierung erteilte ihm auf sein Gesuch hin das Privileg zur ausschließlichen Herstellung von blanken Waffen für 30 Jahre. Anthés erhielt hierdurch das Recht, Eisenerzvorkommen zu verhütten und Stahl herzustellen. Allerdings wurde von ihm erwartet, dass "der gewonnene Stahl sich zu Waffen geeignet und als demjenigen gleichwertig erweisen würde, den man in Solingen verarbeitete" ("équivalent à celui qu'on emploi dans des manufactures de Solingen"). [Hendrichs 1933, S. 126]


Klingenthal
 
Nach einer Abb.
bei Brangs (1957)



Anwerbung 1730

Durch Vermittlung des Solinger Schwertpolierers Abraham Peters ließ Anthés im Januar 1730 die ersten Handwerker aus Solingen kommen, darunter einen Stahlraffiniermeister nebst Gesellen, zwei Klingenschmiedmeister und zwei Gesellen, einen Härter, zwei Schleifer und einen Graveur und Vergolder. [Hendrichs 1933, S. 126 und Beermann S. 61]

Es handelte sich um folgende Personen:


Johann Dietrich BENNINGHAUS      Raffineur
Mathias Michael SCHMID           Raffineur
Caspar ENGELS                    Bajonettschmied
Arnold SCHMIDT                   Schmied (Geselle)
Wilhelm KIND                     Klingenschmied
Abraham WUNDES                   Schmied (Geselle)
Clemens EVERTZ                   Härter
Andreas ASCHAUER                 Schleifer
Abraham EICHHORN                 Schleifer (Geselle)
Wilhelm KIND                     Stahlstecher, Vergolder

[Klingenthal-Museum]

Mit ihnen begann Anthés an der Ehn zu arbeiten. Die Ehn ist ein kleiner Nebenfluss der Ill, die unterhalb Straßburgs in den Rhein mündet. Das Gefälle der Ehn genügte als Antriebskraft für die Raffinierhämmer sowie die Schleiferei. "So wurde der Grund gelegt zu dem kleinen Städtchen Klingenthal, ein Name, den er schwerlich von den Franzosen, um so wahrscheinlicher aber von den eingewanderten Solinger Handwerksgenossen erhielt." [Hendrichs 1933, S. 127]

Das Gebiet von Klingenthal war zum Zeitpunkt der Einwanderung noch unbebaut. Wohnung und Arbeitsstätten mussten sich die Solinger hier erst schaffen, "... obgleich man den Zugewanderten die schönsten Versprechungen gemacht hatte". [Brangs]




Verstoß gegen den Verbleibungseid

In Solingen herrschte wegen der Abwanderung große Aufregung. "Gegen den Bruch des sogenannten Verbleibungseides war seitens des Kurfürsten Karl Philipp (1716-1742) am 1. November 1723 eine strenge Verordnung gegen flüchtige Handwerker (Schwertschmiede, Härter und Schleifer) ergangen, in der den Pflichtvergessenen die Einziehung von Hab und Gut angedroht worden war.

Die Verordnung enthielt zudem eine Androhung von Schimpf und Schande, wie sie schlimmer kaum noch ausgesprochen werden konnte: Die Namen der Übeltäter sollten an den Galgen geschlagen werden. Diese Art des Strafvollzugs war weit verbreitet." Trotz mehrfacher kurfürstlicher und richterlicher Androhung schwerer Strafen zogen um 1743 weitere Solinger Klingenhandwerker ins Elsass. [Brangs 1957]




Positive Entwicklung in Klingenthal

Die Arbeit in Klingenthal war so erfolgreich, so daß Anthés bald auch noch Scheidenmacher und Schwertfeger aus Solingen holen und mit deren Hilfe fertige Schwerter und Degen ausschließlich mit Solinger Arbeitskräften herstellen konnte. Anthés stützte sich bei den Einrichtungsarbeiten in erster Linie auf den miteingewanderten Meister Abraham Peters.

Um diesen auch für die Zukunft fest an das neue Unternehmen zu binden, bewilligte König Ludwig XV. ihm eine Summe von 6000 livres (= francs), die zugleich als Entschädigung für das ihm voraussichtlich entgehende Erbteil aus der Solinger Heimat gelten sollte.

"Anthés hatte sich verpflichten müssen, seine Werkstätten im Laufe eines Jahres zu errichten und die darin hergestellten Waffen zu einem um 10 v.H. günstigeren Preise, als bisher von Solingen üblich, zu liefern." Als "General Florant de Vallière die Werkstätten Mitte 1731 besichtigte, fiel sein Bericht an die Regierung so günstig aus, daß sich der König veranlaßt sah, Anthés in Anerkennung seiner hohen Verdienste in den Adelsstand zu erheben und ihm einen neuen Wappenschild zu verleihen." [Hendrichs 1933 S. 127]

Gegen Ende 1731 waren 25 Obermeister als Schmiede, Schleifer, Härter, Feger und Ziseleure usw. sowie eine ebenso große Anzahl von Gehilfen [zusätzlich?] beschäftigt. [Hendrichs S. 127]

  Lt. Webseite des Klingenmuseums Klingenthal waren 1731 25 weitere Solinger Handwerker nach Klingenthal gekommen, in den folgenden Jahren nochmals 25.

Brangs nennt Angehörige der aus Solingen stammenden Familien:


Aschauer,                     Hartkopf,         Schaaf,
Bertram,                      Kayser,           Schmidt,
Engels,                       Kind,             Stamm,
Ern,                          Krebs,            Stoll,
Ernbruderjung (Balkhausen),   Nippes,           Wiedenhof,
Evertz (Evers),               Peters,           Wundes.

Aufgrund der guten Ergebnisse baute Anthés 1734 zwei weitere Schleifereien. "Auch währte es nicht lange, bis er junge elsässische Burschen als Lehrlinge einstellen konnte, aus denen dann Gehilfen und schließlich Meister wurden." [Hendrichs S. 127]

Der Betriebsleiter war mit einem Adelstitel belohnt worden, die Arbeiterschaft erhielt Erfolgsprämien. 1734 ordnete König Louis XV an, dass den besten Arbeitern der Manufaktur eine jährliche Zulage von 1.200 Livres gewährt werden solle.

In der Liste vom 15. September 1736 erscheinen wieder einige der o.g. Arbeiter aus Solingen:


Alte Klingenschmiedemeister      Wilhelm KIND, Johann Wilhelm KIND,
                                 Peter HERMES

Junger Klingenschmied            Abraham WUNDES
Alte Bajonettschmiedemeister     Caspar ENGELS, Arnold SCHMID (Schmidt)
Junge Bajonettschmiede           Clemens ENGELS, Johann Peter ENGELS

Bajonettschmiedelehrlinge        Jean André ENGELS,
                                 (in Wirklichkeit Johann Caspar)
                                 Guillaume ENGELS
                                 (in Wirklichkeit Peter)

Alte Schleifermeister            Andreas ASCHAUER
                                 Abraham EICHHORN

Junger Schleifer                 Clemens EICHHORN
Härter                           Clemens EVERTZ
Stahlstecher, Vergolder          Wilhelm KIND

[Klingenthal-Museum]

1736 waren zwei Hammerwerke, drei Schleifereien und eine Schärferei in Betrieb. Hergestellt wurden insbesondere Säbel, Jagdmesser, Blankwaffen für die königliche Leibgarde, Aufpflanzbajonette, Gendarmerie- und Kavalleriesäbel. [Brangs 1957]

"Wenn auch Anthés sich seines Erfolges nicht lange erfreuen konnte, da er früh starb, und wenn auch seine Nachfolger nicht immer die gleichen Fähigkeiten wie er besaßen, so nahm doch das für Frankreich so lebenswichtige Unternehmen in Klingenthal während des 18. Jahrhunderts fast stetig zu. 1810 wurden daselbst nicht weniger als 590 Facharbeiter beschäftigt, darunter 15 Raffinierstahlschmiede, 100 Klingenschmiede, 9 Härter, 103 Schleifer und 194 Schwertfeger.

Obgleich um diese Zeit bereits 80 Jahre seit der Einwanderung der ersten Solinger verstrichen waren, wiesen die Namen einer ganzen Anzahl Facharbeiter immer noch auf ihre Solinger Herkunft hin, wenn auch längst französische Vornamen hinzu getreten waren, so zum Beispiel:


Pierre Aschauer, Dominique Schmidt, Georges Stoll als Schmiede,
Clément Evertz, Alois Krebs, Jaques Nippes als Härter.
[Hendrichs S. 127 f]



Auswirkungen auf die Solinger Industrie

Eine solche Fabrik musste den Absatz der Solinger Klingen fühlbar beeinträchtigen. Als das Bergische Land 1806 unter französische Herrschaft geraten war, hofften die Solinger Hersteller wieder auf Exportaufträge nach Frankreich. Schließlich war der Bedarf an Tötungsinstrumenten in der Zeit der Napoleonischen Kriege groß. Aber Napoleon zeigte keinerlei Interesse. [Hendrichs S. 127 f]

Die Waffenindustrie in Klingenthal wuchs kontinuierlich. 1810 waren rund 600 Facharbeiter beschäftigt.




Produktionsverlagerung nach Chatellerault

Was dann passierte, mutet ganz modern an. Franz Hendrichs beschrieb es so:

"Dann kam eine eigenartige Wendung in dem Geschick der Industrie von Klingenthal, die auf das Einschreiten von Marschall Soult zurückzuführen ist. Soult, der sich in den voraufgegangenen Kriegsjahren auch längere Zeit in Solingen aufgehalten und dabei eine Solingerin zur Frau genommen hatte [Luise Berg], besaß eine Reihe von Stahlwerken in Tarn. Wiederholt hatte er um 1825 darauf gedrungen, die Werkstätten in Klingenthal mit seinen Stählen zu beliefern. Die mit den Soult'schen Stählen angestellten Versuche hatten auch die Ueberlegenheit über die bisher in Klingenthal selbst hergestellten Raffinierstähle ergeben. Der Leiter in Klingenthal wollte aber die bisherigen Stahllieferer, die er zu seinen nächsten Verwandten zählte, nicht schädigen und wies das Soult'sche Anerbieten zurück.

Was folgte, zeigt die einflußreiche Stellung des Marschalls. Denn allein auf seine Maßnahmen ist es zurückzuführen, daß in den darauffolgenden Jahren die ganzen Fabrikanlagen zur Herstellung von blanken Waffen von Klingenthal im Elsaß in die Mitte des Reiches nach Chatellerault verlegt wurden. Sobald die erforderliche Neubauten in Chatellerault errichtet waren, schaffte man dahin nicht nur die ganzen Einrichtungen von Klingenthal sondern auch fast alle Facharbeiter."

[Hendrichs S. 128]

Um 1835 setzte die Abberufung von Waffenfacharbeitern aus Klingenthal ein. Das Kriegsministerium verfügte die Versetzung an die Waffenfabrik nach Châtellerault im Departement Vienne. 1836, nach etwas mehr als 100 Jahren also, wurde die Waffenproduktion in Klingenthal eingestellt.

Châtellerault im Departement Vienne gehörte neben Thiers, Langres und Nogent zu den Hauptplätzen der französischen Stahlwarenindustrie. 1836 endete die Waffenproduktion in Klingenthal. Später wurden in den dortigen Werkstätten Kleineisen- und Stahlwaren produziert.

Franz Hendrichs: "Bei den französischen Ueberlieferungen kann man nur zu deutlich zwischen den Zeilen lesen, wie sich die Franzosen selbst gewundert haben, daß es ihnen damals so leicht gelingen konnte, fachkundige Solinger Arbeiter, die ihren Eid darauf abgelegt hatten, im Solinger Bezirk zu bleiben und niemanden als ihren eigenen Söhnen die ererbte Kunstfertigkeit zu lehren, nach dem Elsaß herüber zu ziehen." Sie erkannten "selbst den Grund für diese erstaunliche Bereitwilligkeit, Solingen zu verlassen, in den eng gefaßten und streng gehandhabten Zunftvorschriften ... und vor allem in der sich bei Solinger Herstellern immer mehr einbürgernden Art der Lohnzahlung durch Waren." [Hendrichs S. 127 f]


  Mehr über Klingenthal vor Ort: 2, Rue de l'École 67530 Klingenthal, oder auf der Webseite des Museums "Maison de la Manufacture d'Armes Blanches". Dort ist hinter dem Link "Museum" das Verfahren zur Herstellung einer Blanken Waffe beschrieben mit anschaulichen Zeichnungen zur Arbeit des Schmieds und des Schleifers [Stand 20.01.2003].



Quellen:
  • Brangs, Hans: "Deren Namen an den Galgen geschlagen". Abwerbung von Solinger Klingenhandwerkern ins Elsaß. Die Heimat 12/1957
  • Hendrichs (1933)
  • Website: "http://www.chez.com/klingenthal/museum.htm" am 15.01.2003 [Klingenthal-Museum]

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