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Preußische höhere Fachschule für Textilindustrie
in Barmen (1928-1930)

 
    -  Das Weben
    -  Wirkwaren
    -  Ausrüstung der Gewebe
    -  Das Färben
    -  Das Bedrucken
    -  Spitzenkunde
    -  Knöpfe
    -  Zutaten
    -  Ausputz

Manchmal wird "von außen" ein Thema angestoßen, das eigentlich schon lange in der virtuellen Schublade schlummert und darauf wartet weiter bearbeitet zu werden. In diesem Fall war es eine Anfrage zum Thema "Barmer Spitzen", die ein weiteres Kapitel meiner Familiengeschichte berührt, nämlich die Preußische höhere Fachschule für Textilindustrie, die meine Mutter auf ihrem Weg und Werdegang zur kunstgewerblichen Schneidermeisterin in den Jahren 1928-1930 besucht hat.

Die Lektüre ihrer alten Arbeitshefte nach langer Zeit weckte mein Interesse für die Textilbe- und Verarbeitung vor der Zeit der Massenproduktion in sogenannten Billiglohnländern, als Kleidungsstücke und andere Textilien noch keine Wegwerfartikel waren, sondern noch indivuduell, aufwändig und in kreativer Handarbeit hergestellt wurden.




Die Barmer Textilschule

1900 wurde in Barmen-Heckinghausen die Preußische Höhere Fachschule für die Textilindustrie eröffnet. Ihr Domizil war das 1867 errichtete ehemalige Gebäude der Gewerbeschule an der Gewerbeschustraße 34, das um ein Werkstattgebäude mit Färberei- und Maschinensälen erweitert wurde. Das Schulgebäude aus gelben und roten Ziegeln wirkt auf alten Ansichten prächtig und repräsentativ. Kurz vor der Zerstörung im II. Weltkrieg war die Einrichtung zu einer von fünf deutschen Textilingenieurschulen ernannt worden, nun in städtischer Trägerschaft mit Beteiligung der heimischen Industrie.

Das Schulgebäude fiel, wie auch die gegenüberliegende Kunstgewerbeschule, mit dem gesamten Wohnviertel der Bombardierung im Mai 1943 zum Opfer. Das verbliebene Werkstattgebäude wird heute vom Ausbildungszentrum der Rheinischen Textilindustrie e.V. genutzt. Die "Barmer Artikel": Kordeln, Litzen, Tressen und Spitzen stehen auch heute noch auf dem Lehrplan.

Prof. Paur, damals Direktor der Barmer Textilschule, hat in der 1926 von Stadtbaurat Köhler herausgegebenen Schrift "Barmen" die Aufgaben der Schule skizzert:


Die Barmer Textilschule
Von Direktor Prof. Paur (1926)

Die Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie ist die jüngste der deutschen Lehranstalten Barmens. Ihre im Jahre 1900 erfolgte Gründung ist zurückzuführen auf eine Anregung der Barmer Handelskammer, die aus der Erkenntnis entsprang, daß, nachdem die Industrie sich immer mehr den gemusterten Artikeln zugewandt habe, eine gründliche Ausbildung des Nachwuchses sowohl in technischer Beziehung sowie auch hinsichtlich des Geschmacks notwendig sei. Aus dieser Forderung ergab sich als Aufgabe der Schule: Fabrikanten, Betriebsleiter, Textilzeichner, sowie technische Angestellte und Meister für die Wuppertaler Textilindustrie heranzubilden. Diese Aufgabe ist bis heute im wesentlichen dieselbe geblieben.

Bei dem Unterricht werden vorwiegend folgende Zweige der Industrie berücksichtigt:

Die Band- und Posamentenweberei,
2. die Flechterei und Spitzenfabrikation,
3. die Besatzkonfektion,
4. die Kleider-, Möbelstoff- und Teppichweberei und
5. die Garn- und Stückfärberei.

Für alle diese Zweige bestehen getrennte Abteilungen mit eigenen Lehrkräften.

Außerdem wird noch eine 6. Abteilung für das Zeichnen und Entwerfen von Mustern geführt. Der Unterricht wird in Tages- und Abendkursen erteilt, außer in Abteilung 3, für die nur Tageskurse bestehen, und gliedert sich in theoretische Fächer und praktische Übungen. Es wirken zurzeit an der Anstalt 25 hauptamtliche und 11 nebenamtliche Lehrkräfte.

Das Lehrziel erstreckt sich in der Hauptsache auf die Lehre von den Faserstoffen und Garnen, auf die Fabrikation, Musterung, Kalkulation und Betriebsführung. Zur Erleichterung des Verständnisses, insbesondere für Garnuntersuchungen und Materialprüfungen, für allgemeine Maschinenlehre und für den Zeichenunterricht stehen eine große Anzahl von Modellen und Apparaten zur Verfügung. Außerdem besitzt die Anstalt für weitere Studien eine Fachbibliothek mit über 2000 Bänden.

Für praktische Übungen ist die Anstalt mit den modernsten Maschinen für jede der vorerwähnten Abteilungen ausgestattet. So besitzt sie einen Bandwebereibetrieb mit über 30 Bandwebstühlen verschiedenster Art nebst den dazu gehörigen Hilfsmaschinen, einen Flechtereibetrieb mit 43 Klöppelgängen, einen Betrieb für einfädige Spitzen mit 13 Maschinen, einen Kurbelstickereibetrieb für die Besatzkonfektion, 7 Häkelmaschinen, ferner einen Webereibetrieb mit den erforderlichen Vorbereitungs- und Hilfsmaschinen, 12 Hand- und 26 mechanischen Webstühlen, sowie einen praktischen Färbereibetrieb mit allen für die Strang- und Kopsfärberei und Bleicherei notwendigen Einrichtungen und Maschinen.

Für den chemischen und färbereitechnologischen Unterricht sind drei geräumige Laboratorien vorhanden. Bei der Vielseitigkeit der Anstalt ist dem Schüler Gelegenheit geboten, sich für ein bestimmtes Fach in bester Weise vorzubereiten und sich umfassende Kenntnisse anzueignen. [S. 164]


 

"Gewerbeschule". Detail einer
Ansichtskarte, gelaufen 1898
 

Die 1867 erbaute "Höhere und niedere Gewerbeschule in Barmen" an der Gewerbeschulstraße, ab 1900 höhere Textilfachschule, steht nicht mehr


 
Gewerbeschulstraße
"Barmen - An der Bergbahn und Gewerbeschule" (rechts).
Ansichtskarte um 1910
 

2012   Gewerbeschulstraße / Ecke An der Bergbahn. Die 1959 leider stillgelegte Bergbahn wurde von der Schülerinnen und Schülern täglich genutzt.



2012   Das "hinten" noch vorhandene Werkstattgebäude wird heute vom Ausbildungszentrum der Rheinischen Textilindustrie e.V. genutzt.
 

2009   Die Gewerbeschulstraße in Heckinghausen mit Nachkriegsbebauung.
Auf der linken Straßenseite stand die 1914-16 errichtete Kunstgewerbeschule, gegenüber die höhere Textilfachschule.

Klassenfotos

 

 
Preußische höhere Fachschule für Textilindustrie,
Barmen, Gewerbeschulstraße (1928-1930)


"I. Sem. an der Hof-Tür
(im Aug. 1928)"


 

 
"II. Sem. ebenso
(im Aug. 1928)"




Einige Namen
Else Beuthner (Lehrerin?)
A. Bofinger
Eugenie Bonsdorf
Alice Frensel
Marta Hoppe
Grete Kilber
 

 
Hanni Krüger
Frl. Martin (Gewerbelehrerin)
Margot Maurer
Michaelis (Studienrat?)
Grete Pfister
Marg. Pfister
Erna Schulte, Schwelm
Else Wagner
Grete Waldmin
Hanni Weischet



"Das V. Sem. hat Pause!
(im Sept. 1930)
Barmen"
 

"Die Gelegenheit war günstig!
I. Sem. (1928)"

"Fünf Min. vor dem Unterricht! - (1928)"

"Dom[p]teuse des I. und II. Sem. (1928)


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Textilkunde.
Aus den Arbeitsheften einer Schülerin
der höheren Textilfachschule Barmen (1928-1930)



 
Die folgenden Texte sind einzelne Auszüge aus den handgeschriebenen Arbeitsmappen einer 15-17jährigen hochmotivierten Textilfachschülerin: ein kleiner Ausschnitt dessen, was in den Jahren 1928-1930 in der "Preußischen höheren Fachschule für Textilindustrie in Barmen" gelehrt und gelernt wurde (soll nach und nach ergänzt werden).
Themenübersicht


Textile Rohstoffe


Die Werkstofflehre, die im Hander und Gewerbe der Bekleidungsindustrie in Betracht kommt, umfaßt die Rohstoffe aus dem Pflanzen-, Tier- und Mineralreich, sowie deren Halb- und Ganzfabrikate. Diese Materialien lassen sich in drei Gruppen teilen:

1. Hauptmaterial: Gewebe
2. Nebenmaterial: Ausputz
3. Hilfsmittel: Zutaten (Nähfäden, Knöpfe u.s.w.)

Diese Materialien bestehen aus Fasern, die sich infolge gewisser Eigenschaften, Länge, Festigkeit und Elastizität zur Verwendung in Geweben eignen.

Mit Ausnahme der gehaspelten Seide und der Kunstseide besitzen wir keine Fasern, die so lang sind, daß sie ohne weitere Vorbehandlung sofort versponnen und verwebt werden können. Hierfür sind sie nämlich zu kurz und müssen zuerst versponnen werden. Dieses geschieht durch An- und Ineinanderlegen unter gleichzeitigem Zusammendrehen zu einem einzigen, langen Faden (Garn). Aus diesem Grunde führen die Fasern den Namen Gespinstfasern. Die Zahl der heute in der Textilindustrie verwendbaren Gespinstfasern grenzt an 1000.

Für Bekleidungs- und Ausstattungsstoffe kommt jedoch nur ein geringer Prozentsatz in Frage. Einerseits fehlen den Fasern die für diesen Zweck notwendigen Eigenschaften, andererseits wird ihre Verwendung dadurch ungeeignet, daß die Kosten ihrer Produktion zu groß sind.

Nach ihrem Ursprung unterscheidet man

I. Naturfasern:
A   Pflanzenfasern
B   Tierfasern
C   Mineralische Fasern

II. Kunstfasern
A   Kunstseide
B   Zellwolle
C   Fasern aus eiweißhaltigen Stoffen

I. Naturfasern

A   Pflanzenfasern
Pflanzenfasern sind ein Zellengebilde, das eine Verbindung von Wasser- und Kohlenstoff darstelt. (Die chemische Formel dafür ist C6-H10-O5.) Es ist ein Kohlehydrat. Selten kommen diese Fasern rein weiß vor, da sie oft mit fremden Bestandteilen vermischt sind, z.B. mit Pflanzenleim, Fett, Wachs, Harz u.s.w., sodaß ihre Farbe sehr verschieden ist. Der Grad der Zähigkeit, mit der diese fremde Beimischung an den Fasern haftet, bestimmt die mehr oder weniger schwierige Gewinnung der spinnfähigen Faser. Bei Faserbündeln (die Einzelfasern werden durch Pflanzenleim zusammengehalten) ist eine längere Bearbeitung vor ihrer Verspinnbarkeit notwendig. Einzeln vorkommende Fasern können sofort verwendet werden.

A 1. Stengelfasern

Stengelfasern sind Faserbündel, die man auf langwierigen und mühevollem Wege von den Stengeln gewisser Pflanzen erhält. Der Stengel der Pflanze besteht aus Rinde, Bast, Splint, Holz und Mark. Von diesen verschiedenen Schichten liefert nur der unter der Rinde liegende Bast verspinnbare Fasern. Aus diesem Grunde werden sie auch Bastfasern genannt. Sie sind durch Pflanzenleim mit Rinde und Holz innig verbunden.

A   Flachs

Geschichtlicher Überblick:
Neben der Wolle ist der Flachs die am längsten verwendete Gespinstfaser. Der Flachs wurde bei den verschiedenen Völkern schon 3500 v.Chr. verwendet. Man baute ihn hauptsächlich wegen seiner einfachen Fasergewinnung und guten Spinnfähigkeit an.

[Wird fortgesetzt]

II. Kunstfasern



[S. 1 ff]


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Das Weben


Geschichtliches:

Wie das Spinnen, reicht auch das Weben bis in vorgeschichtliche Zeiten zurück. In den verschiedenen Erdteilen wurden die Webgeräte in den mannigfachsten Formen entwickelt. Heute noch werden die primitivsten Formen bis zu den höchstentwickelten Webstühlen benutzt. - Auf Grund von Funden wissen wird, daß die Ägypter schon 600 v. Chr. Stoffe gewebt haben, die technisch sehr gut ausgeführt waren. Folglich waren ihre Webgeräte schon sehr hoch entwickelt.

Auch die Germanen hatten 2000 v. Chr. schon Webstühle, die ebenfalls auf sehr [hoher] Entwicklungsstufe standen.

Die einfachste Art des Webens geht auf das Flechten zurück, aus dem sich allmählich das Weben entwickelte, zunächst noch in sehr primitiver Form.

Die Fadenenden des einen Fadensystems (Kette) wurden an einem waagerechten Balken befestigt, die anderen Enden dieser Kette mit Steinen beschwert. Die Kettfäden waren demnach nicht straff gespannt. Durch die Beschwerung mit Steinen war eine gewisse Elastizität vorhanden, was das Öffnen der Kettfäden, das Einführen der Schußfäden und das Festschlagen derselben erleichterte. Da diese drei Arbeitsgänge nur mit den Fingern ausgeführt wurden, sprach man vom Fingerweben.

Um auch gemusterte Gewebe herstellen zu können, brachte man viele Litzenstäbe an, welche die Kettfäden, einzeln oder in Gruppen, hoben. Um die Litzenstäbe bedienen zu können, wurde eine besondere Vorrichtung notwendig, eine Art Zug. Man spricht deshalb von einem Zugwebstuhl. - Auf Grund dieses Webstuhls konstruierte der französische Mechaniker Jacquard [1752-1834] einen neuartigen [Webstuhl], auf dem alle Arten von Mustern, z.B. Tiere, Blüten, Ranken, ja, ganze Personengruppen gewebt werden konnten. Bei diesem sogenannten Jacquardwebstuhl wird jeder Faden der Kette durch eine ösenartige Öffnung geleitet, sodaß jeder Kettfaden einzeln, dem Muster entsprechend gehoben werden kann. Heute wird das Muster auf Schablonen eingelocht. Diese läuft über eine Walze und löst selbsttätig die Kettfäden aus.

  "Auf der Lochkarte waren allerlei Informationen über das zu webende Muster enthalten. Die Karten wurden mit Nadeln abgetastet; ein Loch bedeutete Fadenhebung, kein Loch Fadensenkung. Diese beiden Informationen reichten aus, um großflächige Musterungen herzustellen. Genauer gesagt handelt es sich nicht um Karten, sondern um lange Lochstreifen und somit um eine frühe Anwendung der Digitaltechnik."
 [Wikipedia]


Während anfangs, wie aus diesem Überblick ersichtlich, das Weben Handarbeit war, übernahm mit dem Fortschritt der Technik der Maschinenwebstuhl die Arbeit. Der Übergang vom Handwebstuhl zur Maschine war mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Er führte zu Aufständen der Weber, welche fürchteten, durch die Maschine brotlos zu werden.

Heute werden fast alle Gewebe maschinell hergestellt. Lediglich das Kunstgewerbe und die Landbevölkerung haben für ihre Erzeugnisse den Handwebstuhl beibehalten.

Der Webvorgang:

Mit dem Namen Gewebe oder Stoff bezeichnet man flächenartige Kunstprodukte, die durch das Verschlingen zweier Fadensysteme zustande kommen. Diese Fadensysteme müssen derartig verschlungen werden, daß ein Verschieben unmöglich ist. Die einfachste Art ist die, wenn sich Kette und Schuß rechtwinklig kreuzen. Diese Verflechtung nennt man Bindung. Je mehr Kett- und Schußfäden auf eine bestimmte Fläche entfallen, desto größer ist die Webdichte.

Die Kettrichtung erkennt man im Gewebe an folgenden Merkmalen:
1. In der Kette befinden sich meistens mehr Fäden als im Schuß.
2. Die Kettfäden sind oft stärker gedreht als die Schußfäden.
3. Gezwirnte Fäden sind meistens in der Kette vorhanden.
4. Die Dehnbarkeit des Gewebes ist in der Schußrichtung größer als in der Kette.

Bei der Herstellung eines Gewebes werden die Kettfäden lose gespannt und durch die Ösen der Schäfte gezogen. Bei einfachen Geweben geschieht es in der Weise, daß jeweils der 2. Faden durch eine Öse des 1. Schafts gezogen wird, während die übrigen Fäden die Ösen des 2. Schafts durchlaufen.

Die beiden Schäfte können auf- und abwärts bewegt werden. Wird der eine Schaft gehoben und der andere gesenkt, so entsteht zwischen den beiden Fadengruppen der Schäfte eine Lücke, durch [die] der Schußfaden gleiten kann. Dann wird der obere Schaft gesenkt und der untere gehoben und erneut der Schußfaden durch den Zwischenraum geschlagen. Bei diesem dauernden Wechsel entsteht das Gewebe. Um den Stoff dicht zu bekommen, wird der Schußfaden mittels einer Lade an die vorhergehenden Schußfäden angeschlagen.

Um die Kettfäden glatt und widerstandsfähig zu machen gegen das Hin- und Hergleiten des Schiffchens und um Beschädigungen zu vermeiden, werden die Fäden vorher mit einer Stärkelösung getränkt. Dieser Vorgang heißt "Schlichte".

Durch das abwechselnde Durchschlagen des Schußfadens von einer Seite zur anderen entsteht auf beiden Seiten des Gewebes die Webe- oder Selfkante. Ist die Webekante von anderer Farbe als das Gewebe selbst, so ist das ein Gütezeichen für den Stoff und besagt, daß im Garn gefärbt wurde und nicht im Stück.

[S. 73-75]

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Wirkwaren


Verwendung:

Infolge der Elastizität der Tricotstoffe eignen sich diese zu solchen Bekleidungsstücken, welche dem Körper fest anliegen und trotzdem große Beweglichkeit zulassen. Das sind in erster Linie Unterröcke und Sportkleidung.

Arten:

Die Maschenbildung kann auf zwei Arten geschehen: Durch die Verschlingung eines einzelnen Fadens oder eines Fadensystems parallel liegender Fäden, denen beide das Handstricken oder Häkeln zu Grunde liegt. Man unterscheidet demnach zweierlei Wirkwaren, Kulier- und Kettware.

Kulierware:

Beim Handstricken werden mit Hilfe zweier Nadeln Maschen gebildet, die auf einer Nadel nebeneinander liegen und damit eine sogenannte Maschenreihe bilden. Eine Masche entsteht dadurch, daß der Faden fortwährend zu Schlingen geformt wird. Dabei wird jeweils eine Schlinge durch eine der vorhergehenden Reihen hindurchgezogen. Durch diese sich regelmäßig wiederholende Verschlingung des Fadens werden jeweils neue Maschen gebildet, so daß die Verschlingungspunkte in deutlich sichtbaren Reihen übereinander erscheinen, was man als Stäbchen bezeichnet. Diese Stäbchen entstehen also im rechten Winkel zur Maschenreihe.

Bei der Kulierware wird entweder wie beim Handstricken auf der Maschine eine Masche nach der anderen gebildet, oder es werden soviel Schlingen vorbereitet, wie Maschen in einer Reihe vorhanden sind. Diese werden dann gleichzeitig durch die entsprechenden Maschen gezogen. So entsteht durch nur eine Bewegung der Maschine eine neue Maschenreihe.

Bei Strick- und Kulierwaren ergibt der Faden auf der rechten Seite das Bild einer Linienschraffierung, auf der linken Seite das Bild von regelmäßigen Wellenlinien. Das wird dadurch begründet, daß auf einer Seite die Schlingenarme, auf der anderen Seite nur die äußersten Bogenteile der Schlingen sichtbar sind.

Der Faden läuft in der Kuliermaschine hin und her. Er bewegt sich aber im Kreise, wenn die Ware in Schlauchform hergestellt wird.

Kettware:

Diese Ware besteht aus einem Kettfadensystem, daher der Name. Hier genügt zur Masche nicht ein einzelner Faden. Es werden nämlich soviel Fäden verwendet, wie Maschen in der Stoffbreite vorhanden sind. Die Maschen werden hier nach den Regeln des Handhäkelns gebildet.

Die Maschen der Kettware verlaufen immer in senkrechter Richtung, bald links, bald rechts auslenkend. Die Maschenform ist daher von der Normalform etwas abweichend, eine Masche läuft schräg nach rechts, die andere schräg nach links. Bei weitmaschigen Kettgewirken ist der charakterische zickzackförmige Verlauf der Maschenstäbchen mit bloßem Auge zu erkennen.

Die Wirkstühle zur Herstellung von Kettwaren nennt man Kettstühle. Sie lassen sich so handhaben, daß gleichzeitig in der ganzen Kettbreite die Maschen entstehen.

Während sich die Kulierware nach allen Seiten hin dehnen läßt, ist die Kettware nur in senkrechter Richtung dehnbar. Die auf Kettstühlen hergestellte Ware läßt sich nicht ohne weiteres aufziehen, man bezeichnet daher diese Wirkart als "maschenfest". Das trifft aber nur da zu, wo mehrere Fäden zusammen die Masche bilden, denn auch die Kettware ist nicht absolut maschenfest.

[S. 90-92]

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Ausrüstung der Gewebe


Die Gewebe kommen selten in dem Zustand in den Handel, in dem sie vom Webstuhl kommen. Meistens werden an ihnen Vollendungsarbeiten vorgenommen, die man in ihrer Gesamtheit als Appretur bezeichnet.

Die Zurichtung oder Veredelung der Gewebe hat den Zweck, ihnen gefälligeres Aussehen und höheren Gebrauchswert zu geben. Die Art der Arbeiten richtet sich nach dem Zweck, dem Material, dem Wert und nach der Mode. Sie umfassen im allgemeinen folgende Ausrüstungsarbeiten:

1. Reinigungsarbeiten,
2. Bleichen,
3. Färben,
4. Appreturarbeiten,
5. Aufmachungsarbeiten.

Reinigungsarbeiten:

Sie haben den Zweck, die Stoffe für die weiteren Veredelungsarbeiten vorzubereiten. Insbesondere die vom Weben her enthaltene Schlichte, Maschinenöl und andere Unreinlichkeiten zu entfernen.

Die vom Webstuhl kommenden Stoffe werden nach Fehlern durchgesehen. Durch Noppen werden Faserenden und Knoten entfernt und durch Stopfen Webfehler ausgebessert.

Streichwollstoffe werden karbonisiert, d.h. die Stoffe werden in verdünnte Schwefelsäure gelegt, dadurch werden die pflanzlichen Stoffe [zersetzt]. Durch nachfolgendes Erwärmen verkohlen die Pflanzenreste und werden durch Klopfen entfernt. Das Sengen wird bei den Stoffen angewandt, die eine glatte Oberseite haben sollen, deshalb sengt man die hervorstehenden Fadenenden ab. Zu diesem Zwecke werden die Stoffe schnell über kleine Gasflammen oder glühende Metallplatten hinwegbewegt.

Wichtig ist auch das Waschen mit Kernseife und verdünnter Sodalösung. Beim Waschen wird Fluß- oder Regenwasser verwendet, da es weich ist. Die Arbeit geschieht in besonderen Waschmaschinen. Darauf folgt das Spülen in klarem Wasser, das durch Zentrifugen wieder ausgeschleudert wird.

Das vollständige Trocknen wird auf Spannrahmen vollzogen oder auf Trockentrommeln in heißer Luft. Dabei werden die Stoffe in der Länge und Breite gestreckt und die Fasern gleichzeitig glattgestrichen.

Das Rauhen:

Sollen die Gewebe auf einer oder zwei Seiten eine Faserdecke erhalten, so müssen die Faserenden aus dem Gewebe gezogen werden. Dieses nennt man "Rauhen". Das Tuch wird über eine mit Stahlhäkchen versehene Walze oder Weberkarde geleitet, sodaß beim Rotieren die Häkchen in das Gewebe eingreifen und die Faserenden herausziehen. (In früheren Zeiten nahm man hierzu getrocknete Disteln.) Die so entstandene Haardecke kann wirr aufgerichtet oder nach einer Richtung gelegt werden. Die erste Art ist das "Veloursrauhen", die zweite das "Strichrauhen".

  Abbildungen der Weberkarde, wie sie Anfang des 19. Jh. verwendet wurde, sind auf der Website  "www.hofkirchen.de" zu sehen (Juni 2012).

Das Walken:

Streichwollgewebe, die locker gewebt sind, müssen gewalkt werden. Die Stoffe werden mit der Walkflüssigkeit getränkt. Das ist ein Gemisch von Ton (Walkerde) und Seifenlösung. Die Gewebe werden warm in der Walkmaschine durch Zerren, Pressen, Drücken, Schieben, Stauchen und Kneten bearbeitet. Dadurch werden die Fasern in allen Richtungen gegeneinander verschoben, sodaß die Fasern fest ineinander haften. Die schuppige Oberfläche der Wollhaare verhindert ein Zurückgehen der Wollhaare in ihre ursprüngliche Lage.

Dieser Vorgang wird "Verfilzen" genannt. Von der Dauer des Walkens hängt der Grad der Verfilzung ab. Die so hergestellten Gewebe heißen Tuche. Bei ihnen ist die Bindung nicht mehr sichtbar. Beim Walken verlieren die Gewebe 20-50 % an Breite und bis zu 30 % an Länge.

Das Scheren:

Damit die Faserenden bei gerauhten und gewalkten Stoffen gleiche Länge erhalten, werden sie mit der Schermaschine gleichgeschnitten.

Das Bleichen:

Es bezweckt die Naturfarbe der Textilfaser zu beseitigen und den Garnen und Stoffen eine hellere Farbe zu geben. Die Farbstoffe müssen zerstört werden, damit das Material ein klares Aussehen bekommt. Man kann die Fasern, Garne oder Stoffe bleichen entweder mit der Natur- oder künstlichen Bleiche.

Die Natur- oder Rasenbleiche
wendet man fast nur bei Leinen an. Die Rohware wird auf dem Rasen ausgespannt und von Zeit zu Zeit mit Wasser übergossen. Unter dem Einfluß von Licht und Luft wird der Naturfarbstoff zerstört. Das Verfahren ist einfach und schonend, aber auch zeitraubend und daher zu teuer.

Die Kunstbleiche,
die heute meist angewandt wird, erfolgt mit Chlor- oder Bleichkalk, Wasserstoffsuperoxyd oder mit Schwefeldämpfen. Sie ist die billigste Art des Bleichens und von sehr kurzer Dauer, greift aber die Fasern an.

Wenn der Farbstoff nicht genügend zerstört ist, wird die Ware nach längerer Zeit wieder gelblich.

Bei Leinen und Baumwolle wendet man oft die gemischte Bleiche an.

Hanf, Jute und wilde Seiden werden meistens als Fasern gebleicht, wenn sie in helleren Tönen benötigt werden. Hanf und Jute werden durch Abkochen mit Soda, Chlor und nachfolgendem Behandeln mit schwefeliger Säure aufgehellt. Die Fasern müssen nach jeder Behandlung gut gespült werden.

Wilde Seide wird mit Wasserstoffsuperoxyd oder Natriumsuperoxyd gebleicht. Diese Bleichmittel wendet man auch bei Wolle an.

Für ganz feine Gewebe benutzt man auch die elektrische Bleiche. Man nimmt eine Kochsalzlösung, die unter Einwirkung des Stromes bleichend wirkt.

Die Ozonbleiche:
Hierbei läßt man den Sauerstoff der Luft auf die Faser einwirken, indem man die Textilien mit sauerstoffhaltigem Wasserstaub bespritzt.

Da die Ware beim Bleichen oft einen Stich ins Gelbliche bekommt, wird sie zum Schluß mit Waschblau nachbehandelt.

[S. 93-96]


Quellen:
  • Frensel, Alice: Handgeschriebene Arbeitshefte, Textilfachschule Barmen (1928-1930) [Wegen der besseren Lesbarkeit wurden im Originaltext abgekürzte Worte ausgeschrieben.]
  • Direktor Prof. Paur: Die Barmer Textilschule. In: Stadtbaurat Köhler (Hrsg.): Barmen. Dari-Verlag, Berlin 1926, S. 164
  • Informationstafel am Schulgebäude "textil im wuppertal" am 28.06.2012

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