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Der Erste Weltkrieg in Langerfeld (Wuppertal)




  Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war meine Mutter, geboren und zu Hause in Langerfeld, erst ein Jahr alt. Anders als ihre drei älteren Geschwister hat sie den Ersten Weltkrieg also nicht bewusst miterlebt. Ihr Vater Otto Frensel war für seinen Langerfelder Arbeitgeber, die Firma Henkels, als Elektrotechniker unentbehrlich und wurde nicht eingezogen. Um ihn musste sich die Familie keine Sorgen machen, wohl aber um Onkel Willy: Wilhelm Lübbecke, 26 Jahre jung, frisch verheiratet und als Kaufmann ebenfalls bei Firma Henkels tätig. Dann setzte der Krieg allem ein Ende.

Auslöser des Ersten Weltkriegs war bekanntlich die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie von Hohenberg in Sarajewo am 28.06.1914. Dann ging es Schlag auf Schlag, die Geschichte ist bekannt:

  • Am 28.07.1914 erklärte Österreich/Ungarn Serbien den Krieg.
  • Am 30.07.1914 erklärte Russland die Generalmobilmachung zur Unterstützung Serbiens.
  • Am 01.08.1914 erklärte Deutschland Russland und 03.08.1914 Frankreich den Krieg.
  • Am 04.08.1914 erklärte England Deutschland den Krieg.
  • Am 26.09.1918 begannen die Angriffe zwischen den Argonnen und der Maas.
  • Am 09.11.1918 rief Phillip Scheidemann in Berlin die Republik aus.
  • Am 11.11.1918 wurde im Wald von Compiègne der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet.
  • Am 28.11.1918 gab Kaiser Wilhelm II. aus dem Niederländischen Exil seine Abdankung bekannt.

Das unmittelbare Grauen dieses Krieges, bei dem zum ersten Mal Giftgas eingesetzt wurde, fand auf entfernten Schlachtfeldern statt, und noch nicht in dem Ausmaß wie im Zweiten Weltkrieg auch in der Heimat. Das Ergebnis waren über neun Millionen Tote sowie ungezählte Kriegsversehrte und zerstörte Existenzen.


Mittelbar war der Krieg natürlich auch "zu Hause" gravierend zu spüren. Der folgende Text über die Kriegsjahre in Langerfeld ist mit freundlicher Genehmigung des Rechtsnachfolgers dem Buch "Langerfeld" von Günther Voigt (1927-2000) entnommen.




Die Kriegsjahre 1914-1915

"Am 31. Juli 1914 erfuhren die Langerfelder durch die Zeitungen, daß das gesamte Reichsgebiet in Kriegszustand erklärt worden war. Alle vollziehende Gewalt ging nun vom Militärbehelfshaber aus. Die Mobilmachung wurde für den 2. August befohlen. Die Familien bangten um Väter, Männer und Söhne, die bei der Truppe standen oder sich in Hagen stellen mußten. Viele von ihnen sangen auf ihrem Weg die »Wacht am Rhein«: »Lieb Vaterland, magst ruhig sein...!« Auf den Eisenbahnstrecken ratterten die Militärtransporte.

Nach den ersten Militärverordnungen, die Telefon-, Eisenbahn- und Straßenbahnverkehr einschränkten, kam es zu Kartoffel- und Mehlverknappungen. Vereinzelte Hamsterkäufe setzten ein. Die Kirchenglocken kündeten von den ersten Siegen in Frankreich und Belgien. Die besonnenen Bürger überlegten, wer gegen uns Krieg führte: Frankreich, Belgien, Rußland, England, Japan, Serbien und Montenegro.

Die Siegesnachrichten aus Tannenberg und über das 10. franz. Armeekorps stimmten die Menschen fröhlich, die langen Lazarettzüge und die ersten Todesnachrichten von Soldaten traurig und nachdenklich. Die Bandfabriken erhielten Heeresaufträge. Sie webten das schwarz-weißrot-schwarz-gelbe (deutsch-österreichische) Nationalband. Im Ort wurden die ersten Liebesgabentage für die Soldaten im Felde eingeführt, aber auch die Volksküchen in Haus Nazareth, auf der Beyeröhde und in den Außenbezirken. Im Herbst wurde der Landsturm einberufen. Erste Kriegsgefangene wurden auf der Schwelmer Rennbahn untergebracht.


Im Februar 1915 begann mit der Reichswollwoche das große Sammeln von Materialien für das Heer, dem bald die Sammlung von Goldstücken, Gold- und Silbersachen folgten. Im Ort wurden im Februar 1915 die Brotkarten eingeführt.

Siegesmeldungen und erste schwere Verluste der Truppen wurden bekannt. Italien erklärte im Mai den Krieg gegen das Reich. Viele Langerfelder standen in Serbien. Ein Soldat schickte von dort ein Erzeugnis, das er selbst hergestellt hatte: Spitzen auf Karton mit dem Aufdruck A. & E. Henkels, Langerfeld in Westfalen. Für die Schuljugend begann das große Sammeln: Eicheln, Bucheckern, Kastanien, Hagebutten, Weidenröschen und Brennesseln.

Die Lebensmittel wurden immer knapper. Der Bundesrat führte fleischlose und fettlose Tage ein. Montags und donnerstags war es den Wirten untersagt, Gerichte mit Fett herzustellen. Am Dienstag und Freitag durfte kein Metzger Fleischwaren verkaufen.

In öffentlichen Gebäuden wurden Eiserne Kreuze aufgestellt, in die Nägel eingeschlagen werden konnten, die fünf, zehn und mehr Pfennig kosteten. Das Geld war für Wohlfahrtszwecke bestimmt. Die Schüler stellten in den Schulklassen Sparbüchsen auf. Für das gesammelte Geld wurden Päckchen zusammengestellt. Die Lehrer sammelten die Anschriften von Soldaten und schickten sie ab. Es gab kaum ein Haus, in dem nicht um ein Familienmitglied getrauert wurde. Eine große Friedenssehnsucht erfüllte die Menschen."

[Voigt (o.J.) S. 176 f]


  Seit September 1914 trafen viele Feldpostkarten von der Westfront bei Familie Frensel in Langerfeld ein. Sie kamen aus Frankreich, die erste aus Anvers mit einem Blick auf die Avenue de Keyzer, dann weitere mit Ansichten von Laon, Ostende, Bouconville, Chamouille, Craonne, Rethel, Neuville, Charleroi, Monceau-sur-Sambre, Longwy, Eton, Maubeuge, Bouligny, Mouzay, Montmédi, Crèpion, Arras, Cheppy, Muzeray, Malancourt, Selles, Reims... Viele der Karten waren in Deutschland gedruckt.

Einige Abbildungen zeigen intakte Straßenzüge, andere zerstörte Gebäude und Ortschaften, Kriegsschauplätze, die teils wie groteske "Kriegs-Idyllen" wirken. Wieder andere zeigen einen befremdlich-makabren Galgenhumor mit "Bienenabwehrkanone" und Gasmaske. Leider sind die Karten sehr schwer zu entziffern - auch weil die winzige Bleistift-Schrift meines Großonkels stark verblasst ist.


 
"Gedenkhalle des Soldatenfriedhofs in Chamouille.
Und wer den Tod im heil'gen Kampfe fand,
Ruht auch in fremder Erde im Vaterland.
Mit Gott für König u. Vaterland."

Feld-Postkarte,
Magdeburger Lichtdruck-Anstalt Richard Kramer, Magdeburg. Verlag Walter Kiessling, Düsseldorf.
Abgestempelt 21.04.1915.



Die Kriegsjahre 1916-1918

"Im Februar 1916 setzten die Materialsammlungen vom Gold bis zum Eisen verstärkt ein.

In jenem Monat wurden die ersten Lebensmittelkarten ausgegeben, zunächst für Fett, Butter, Öl und Hülsenfrüchte. Dann folgten die Scheine für Petroleum. Im Juni besaßen die Familien Karten für Brot, Kartoffeln, Zucker, Tabak, Fett, Fleisch, Eier, Teigwaren und Textilien. Die Gemeindeverwaltung kaufte irgendwo im Reich Lebensmittel auf, die sie zusätzlich in bestimmten Geschäften gegen Lebensmittelkarten billiger abgab. Im September gab es für alle Schulkinder zum ersten Mal eine Schulspeisung.

Eine grenzenlose Sehnsucht nach Frieden brach über die Menschen herein. Sie fühlten sich aber unter dem Schutz der Truppen sicher zu Hause. Am 12. Oktober 1916 überflog ein feindliches Flugzeug Langerfeld. Die Regierung zu Arnsberg verfügte, bei dem Ruf »Flieger in Sicht!« die Kellerräume aufzusuchen.

Die Kartoffelknappheit war besonders spürbar. Manche trugen diese mit Humor. Im Dorf sang die Jugend: »Im Langerfeiler Dörfken, do es ne Ärpelsnot. Do schlo'en sick dä Wiewer, üm eenen Ärpel dot. 0 du min Waldemar, wat sid dä Ärpel rar!« Und im letzten Vers hieß es dann: »O du min Waldemar, do kömmt dä Ärpelskaa!« Und die Ärpelskaa kam wirklich. Die Gemeindeverwaltung hatte es möglich gemacht, daß jede Familie Einkellerkartoffeln bekam.

Im Januar 1917 war das Friedensangebot des Kaisers abgelehnt worden. Der Krieg wurde mit all seiner Grausamkeit fortgesetzt. In der Heimat nahm die Verknappung von Kohle und Kartoffeln zu. Im Februar 1917 wurden an Stelle der Kartoffeln Steckrüben verteilt. Als in diesem Steckrübenwinter auch noch der Brotzusatz ausfiel, kam es in einigen Städten, so in Barmen, zu Empörungen.

Tief erschrocken hörten die Langerfelder von der Kriegserklärung der Vereinigter Staaten von Amerika am 22. April 1917. Der Gemeindeverwaltung gelang es im Mai 1917, einige hundert Kinder für längere Zeit aufs Land zu schicken. Sie schrieben aus Pommern, Oberhessen und dem Ravensberger Land.

Im Herbst 1917 waren die Kartoffeln gut geraten. Ein Steckrübenwinter wiederholte sich nicht. Der Mangel an Nickel- und Kupfermünzen war überall spürbar. Die Firma Henkels ließ eigenes Geld für ihren Konsum prägen, das bald überall in Langerfeld angenommen wurde.



Der Frieden mit Rußland im Februar 1918 ließ die Hoffung auf ein baldiges Ende des Krieges wieder aufleben. Aber die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Dann überstürzten sich die Ereignisse. »Wir geben Elsaß-Lothringen ab - Unser Heer geht an die Grenzen zurück - Wir müssen Frieden schließen - Der Krieg ist verloren,« waren die Nachrichten, die sich schnell verbreiteten. Für viele Menschen brach eine Welt zusammen. Andere interessierte das wenig. Sie kämpften um ihr Leben in einer schweren Grippe-Epidemie, die viele Opfer forderte.

Am 9. November 1918 war der Krieg zu Ende. Allein aus Langerfeld hatten 537 Männer den Tod gefunden. Ihre Namen sind im Mahnmal auf dem Friedhof an der Kohlenstraße eingemeißelt."

[Voigt o.J. S. 178 f]


 
März 2008
Ehrenmal für die Gefallenen
des Ersten Weltkrieges
auf dem Friedhof an der Kohlenstraße
in Langerfeld

  Der Name Lübbecke wurde hier nicht eingemeißelt. Am 18. Mai 1918 schrieb Wilhelm Lübbecke, Gefreiter des 5. königlichen Infanterie-Regiments IV A.K., die letzte Feldpostkarte an seine Mutter nach Goslar. Ebenso wenig wie frühere Postkarten ließ sie Rückschlüsse auf die eigene Situation und die Verhältnisse am Kriegsschauplatz zu, sei es aufgrund der strengen Militärzensur oder persönlicher Rücksichtnahme. Willy fiel in Sedan.

  Durch eine Online-Nachfrage bei der Kriegsgräberfürsorge erfuhr ich, dass der Dienstgrad meines Großonkel "Wehrmann" gewesen ist, dass er am 14.09.1919 verstorben (seinen Verwundungen erlegen) und in der Kriegsgräberstätte in Proyart (Somme, Frankreich) beigesetzt ist, Endgrablage: Block 1 Grab 142. - Leider viel zu weit weg für einen Friedhofsbesuch.


  Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
  Fotos u.a. vom Soldatenfriedhof in Proyart



Quelle:
  • Voigt (ca. 1990/91)

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