www . ZeitSpurenSuche . de

Begeistert war die Bevölkerung anno 1929 nicht von der zwangsweisen Städtevereinigung im Wuppertal. Das 60jährige Stadtjubiläum im Jahr 1989 hat damals die Westdeutsche Zeitung zum Anlass genommen, einige der dramatischen Begebenheiten und die damaligen Sorgen der Funktionsträger ("seelische Verwilderung" und "babylonische Sprachverwirrung" als Folge der Städtevereinigung!) wieder hervorzuholen. Angesichts der ernsten Wirtschaftskrise und ihrer Folgen dürften diese Sorgen für große Teile der Wuppertaler Bevölkerung von vergleichsweise marginaler Bedeutung gewesen sein.


General Anzeiger vom 25. Januar 1930

Der neue Name: Großstadt "Wuppertal"

WG Berlin, 25. Jan. (Eig. Drahtb.) Der preußische Innenminister hat seine Genehmigung dazu erteilt, daß der Name "Wuppertal" in Zukunft der Name der neuen rheinischen Stadtgemeinde Barmen-Elberfeld sein soll. Das Recht zu einer solchen Namensgebung hat das Staatsministerium. Nachdem das Staatsministerium aber dieses Recht dem preußischen Innenminister übertragen hat, ist die Entscheidung erfolgt.



Westdeutsche Zeitung vom 11. August 1989
Barmen-Elberfelder Stadtparlament zerbrach sich lange den Kopf

In hitziger Debatte den neuen Namen aus der Taufe gehoben

Im Tumult mußte Polizei Kommunisten des Saales verweisen

Im Sommer 1929 entstand die Stadt der ehemals selbständigen Städte. "Barmen-Elberfeld" aber war sozusagen nur ein Arbeitstitel. Nach den zahlreichen Schwierigkeiten vor der Vereinigung, nach Gebietsgerangel und Konkurrenzdenken, schien der Name zunächst zweitrangig. Bis zum Dezember sollte es noch dauern, bis sich die Stadtverordneten einigten, bis Anfang 1930, bis es auch die preußische Regierung abgesegnet hatte.

Vieles sprach dafür, die Namen der beiden großen Industriestädte an der Wupper beizubehalten. Zwar hätten die Elberfelder lieber ihren Städtenamen vorn gehabt, auch plädierten einige Kommunalpolitiker - je nach Heimat - dafür, die neue Gesamtstadt nur Barmen oder Elberfeld zu nennen. Eine Mehrheit dafür gab es natürlich nicht.

Die Achtung gegenüber der Vergangenheit sahen Abgeordnete gefährdet, sollten die Namen Barmens oder Elberfelds zugunsten eines neuen Namens ganz verschwinden. Auch die Bezeichnung Wuppertal blieb umstritten: Wie sollten sich, so wurde gefragt, Ronsdorfer oder Cronenberger mit dem "Tal"-Namen zurechtfinden? Die Mehrheit einigte sich dennoch auf den Wupper-Namen. Nicht diskutiert wurde der Beitrag des kommunistischen Abgeordneten Witte, der neuen Kommune den Namen "Hungerstadt" zu geben.

Die Sitzung des Stadtparlaments vom 20. Dezember verlief mehr als turbulent. So hatte man Platzkarten unter den Parteien verteilt, stand Polizei Spalier, mußten schon bald, so berichtet der General-Anzeiger, "die sehnigen Fäuste von vier Beamten eingreifen": Fünfmal wurde die Sitzung unterbrochen, wurden kommunistische Abgeordneten, die "skandaliert" hatten, aus dem Saal geführt. Dann aber ging eine historische Sitzung zu Ende, und die Presse hatte drei Schlagzeilen: Dr. Hartmann Oberbürgermeister, Elberfeld Verwaltungssitz, Wuppertal der neue Name.

[Ulla Dahmen-Oberbosse]



Wappen Elberfeld
Wappen von Elberfeld,
der bergische Löwe mit dem Rost des hl. Laurentius, Schutzpatron der Stadt
 
Wappen Barmen
Wappen von Barmen
mit dem Löwen auf Garnbündeln als Hinweis auf die Textilindustrie
 
Wappen Wuppertal
Im Wappen der Stadt Wuppertal sind diese Elemente vereinigt.


Westdeutsche Zeitung vom 11. August 1989
Die Ideologen sprachen von kommunaler Konzernbildung

Langerfeld warnte vor dem menschenfressenden Moloch

In Westfalentreue gegen Vergewaltigung der eigenen Wesensart

Vor "neuen Riesenstädten" und "kommunaler Konzernbildung" warnte der Langerfelder Stadtverordnete Friedrich Lüttringhaus am 28. Januar 1928. Der Artikel in der Schwelmer Zeitung malt das Schreckensbild "menschenfressender" Stadt-Moloche an die Wand, droht mit der "Verelendung der Großstadtfamilie", "seelischer Verwilderung" und "Verdummung der jeder Verhetzung widerstandslos verfallenen Bewohner". Was heutzutage als Karikatur des "Eingemeindungsfiebers" der damaligen Zeit erscheint, war für die beteiligten Politiker Ideologie. So hatte zwar das Amt Langerfeld, zu dem auch Nächstebreck gehörte, schon 1922 seine Selbständigkeit verloren, und war als östlicher Vorposten in Barmen aufgegangen, doch als nur wenige Jahre später die Bildung Wuppertals anstand, erstarkte von neuem der Widerstand.

Westfalenbund

Wirkungsvollstes Sprachrohr dieses Widerstandes war der "Westfalenbund", gegründet gleich nachdem der Preußische Landtag am 5. August 1922 per Gesetz die Eingemeindung Langerfelds beschlossen hatte. Versammlungen, Kundgebungen, Flugblätter lösten einander ab, alle mit einem Ziel: die Aufhebung des Gesetzes. Dabei ging es nicht nur um die Rückgewinnung der einstigen Autonomie. Langerfeld, das seit 1887 dem Landkreis Schwelm, vorher dem Kreis Hagen angehört hatte, bangte um seine westfälische Identität.

Sprachgrenzen

"Westfalentreue" beschworen die Mitglieder auf einer Versammlung, ein Redner geißelte die "Vergewaltigung der westfälischen Wesensart". Selbst Sprachgrenzen zwischen Barmen und der Heimat wurden beschworen, als unüberwindlich hingestellt. Von "babylonischer Sprachverwirrung" war die Rede, da in Barmen schon drei verschiedene Mundarten konkurrierten. Lüttringhaus griff 1926 noch tiefer in die Geschichtskiste und gab zu bedenken, daß Barmen sich doch nur als "Muß-Preußen" fühle, Langerfeld dagegen bereits seit 1609 mit der alten Grafschaft Mark zum brandenburgisch-preußischen Großstaat gehöre.

Bereits 1923 zählte der "Westfalenbund" 7 500 Mitglieder, das waren mehr als Zweidrittel der Wahlberechtigten. Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung stellte der Bund sogar eine eigene Liste auf: Zumindest die Langerfelder wählten mehrheitlich "Los von Barmen".

Abwehrfront

Als Barmen im Zuge der Vereinigung mit Elberfeld den Griff nach Schwelm wagte, erhob sich eine geschlossene westfälische Abwehrfront. Die Verhandlungen zwischen Westfalen und Rheinländern gestaltete[n] sich so feindselig, daß der Düsseldorfer Regierungspräsident seinen Arnsberger Amtskollegen, in seine Zuständigkeit fielen die Schwelmer Belange, anwies, "wegen des Streits zwischen Barmen und dem Landkreis" jeglichen Schriftverkehr der Beteiligten nur über die Regierung laufen zu lassen. Die Schwelmer Politiker unterstützten die Agitationen des Westfalenbundes, forderten im Gegenzug sogar die 1922 abgetretenen Gebiete zurück.

"Schwache Wirtschaft"

Der Schwelmer Landrat Dr. Acker argumentierte am 27. Mai 1929 im General Anzeiger: In Nächstebreck seien fast überhaupt keine, in Langerfeld nur sehr wenige Häuser gebaut worden. Auch für die Wirtschaft tue Barmen nichts; die Langerfelder Textilindustrie liege danieder, und er rechnete vor, daß die alten Firmen nur noch den vierten Teil der Arbeiterzahl von früher beschäftigten.

"Was hat uns die Eingemeindung gebracht? Förderung der Ausgemeindung" - so die Tagesordnung einer Sitzung des Westfalenbundes im Jahre 1933. Diese Themen würden solange "zur Debatte stehen, bis die Gemeinden Langerfeld-Nächstebreck wieder ihrer Heimatprovinz Westfalen zurückgegeben sind". Erst als am 7. November 1951 ein Langerfelder zum Oberbürgermeister von Wuppertal bestellt wurde, schien die Abneigung der alten Westfalen überwunden.

[Cordula Helmig]



Westdeutsche Zeitung vom 11. August 1989
In der Wuppertaler "Zwangsehe" fühlte sich zunächst kaum jemand richtig wohl

Die Wirtschaftskrise überschattete den heftigen Streit
um Städtefusion

Die hohe Arbeitslosigkeit ließ viele zu Hitler
oder zum Kommunismus überlaufen

Die Städtevereinigung von 1929 stand unter keinem guten Stern. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlten sich als "Muß-Wuppertaler" in der kommunalen "Zwangsehe" alles andere als glücklich. Der Streit zwischen den Gegnern und Befürwortern der Städtefusion ging auch nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Gebietsreform munter weiter. Trotzig ignorierten lokalpatriotische Barmer die freundliche Bitte der Post, die bisherige Ortsbezeichnung "Barmen" durch den provisorischen Namen "Barmen-Elberfeld" zu ersetzen. Und verbissene Cronenberger klagten in einem gereimten Zeitungsaufruf:

"Die Eingemeindung, hohe Steuern,
Euch bringt sie keinen Trumpf,
denn alle Waren werden teuer,
drum Cronenberg ist Trumpf."

Doch schon bald wurde der noch lange schwelende Konflikt um das neue Stadtgebilde von den katastrophalen Folgen der Weltwirtschaftskrise überschattet - ausgelöst durch den Kurssturz an der New Yorker Börse im Herbst 1929. Bereits Anfang Januar 1930 gab es im Tal über 20 000 Arbeitslose, im August waren es schon 30 000, Ende des Jahres 37 000.

Als Nachfolger des ersten "gemeinsamen" Oberbürgermeisters Dr. Paul Hartmann trat 1931 Dr. Julius Friedrich an die Spitze der Stadt. Er unternahm mehrere Anläufe, durch Sparerlasse den drohenden finanziellen Zusammenbruch der Stadt abzuwenden.

Mit gutem Beispiel

Friedrich ging mit gutem Beispiel voran, als er freiwillig auf 25 Prozent seines Gehalts verzichtete. Aber die Einsparungen im Rathaus waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zum erstenmal konnten die Beamtengehälter nicht voll ausgezahlt werden. Am Jahresende waren über 51 000 Arbeitslose registriert, unter ihnen auch die Mitglieder des dem Rotstift des Oberbürgermeisters zum Opfer gefallenen städtischen Orchesters. Die Finanzkrise war so ernst, daß sogar erwogen wurde, das Theater und die Oper zu schließen, die Künstler und das technische Personal nach Hause zu schicken. Zu einem Todesurteil für beide Häuser konnten sich die Stadtverordneten freilich nicht durchringen.

Radikalisierung

Die zunehmende Arbeitslosigkeit, Not und Elend führten zu einer politischen Radikalisierung der Bevölkerung. Bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP mit einem Stimmenanteil von 42,6 Prozent in Wuppertal zum erstenmal die stärkste Partei - gefolgt von den Kommunisten, für die sich immerhin 22,3 Prozent der Wähler entschieden. Mit Hitler und Goebbels, die auf zwei verschiedenen Massenkundgebungen im Stadion am Zoo sprachen, hatten die Nationalsozialisten ihre beiden propagandistischen "Zugpferde" ins Rennen geschickt. Ebenfalls im Stadion am Zoo war der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann zur Mobilisierung der kommunistischen Wähler angetreten. Hitler oder Thälmann - für eine immer größer werdende Zahl von Wuppertalern Hoffnungsträger und Wahlalternative.

[Kurt Schnöring]



Westdeutsche Zeitung vom 11. August 1989
Kampf um Kaiser-Wilhelm-Denkmal und brauner Justiz-Terror

Die Gegner der Städtefusion witterten wieder Morgenluft

Hitlers Machtübernahme weckte bei vielen falsche Hoffnungen

Während sich die Nationalsozialisten auf die Machtergreifung ihres Führers Adolf Hitler vorbereiteten, riefen die Monarchisten nach dem alten Kaiser Wilhelm. In der Elberfelder Stadthalle ließ der Hohenzollernbund den seit 1918 im holländischen Exil lebenden Kaiser Wilhelm II. an seinem 75. Geburtstag hochleben. Im Hotel Vereinshaus in Barmen feierte derweil der Bund der Aufrechten ebenfalls das Wiegenfest des Ex-Monarchen - genau einen Tag vor der Berufung Hitlers zum Reichskanzler.

Kaisertreue

Unter den Kaisertreuen gab es nicht wenige Adelige und Offiziere, die insgeheim hofften, Hitler werde nach der Beseitigung der verhaßten Weimarer Republik wieder die Monarchie einführen. Immerhin war der Kaisersproß Prinz August von Preußen ein hoher SA-Führer, dem 1933 bei einem Wuppertal-Besuch nach der Besichtigung des KZ Kemna die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen wurde. Aber auch die unverdrossenen Gegner der Städtevereinigung witterten Morgenluft. Den Anfang machte der Ronsdorfer Bürger- und Verkehrsverein, der am 20. Februar 1933 die kommunale Selbständigkeit des Stadtteils forderte. Am 3. April folgte der Haus- und Grundbesitzerverein Cronenberg mit dem Beschluß, sich für die Ausgemeindung Cronenbergs aus Wuppertal einzusetzen.

Auch Vohwinkel

Da durfte der Bürgerverein Vohwinkel-Weststadt mit seinem Ausgemeindungsruf nicht fehlen. Schließlich trat der einst einflußreiche Westfalenbund mit der Forderung an die Öffentlichkeit, die schon 1922 nach Barmen eingemeindeten Ortsteile Langerfeld, Nächstebreck und Beckacker aus dem ungeliebten Stadtkreis Wuppertal zu entlassen.

Doch die Preußische Regierung schob diesen Forderungen bald einen Riegel vor. Außer der Trennung der 1929 ebenfalls "von oben" angeordneten Fusion der Städte München-Gladbach (später Mönchengladbach) und Rheydt wurden keine weiteren Korrekturen kommunaler Grenzen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet zugelassen.

Gleichgeschaltet

Auch die Hoffnungen der Monarchisten erfüllten sich nicht. Ihre Vereinigungen wurden wie alle anderen Gruppen auch politisch "gleichgeschaltet" und teilweise später gezwungen, sich selbst aufzulösen.

Es kam zum Eklat

Zum Eklat kam es am 25. März 1937, als auf Weisung der von den Nationalsozialisten beherrschten Stadtverwaltung das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Brausenwerth vom Sockel heruntergeholt wurde und in einem Bauschuppen verschwand. Mehrere Wuppertaler informierten in Berlin Prinz August von Preußen, kurz "Auwi" genannt, der als Enkel Wilhelms I. bei Hitler intervenierte. Die Stadtverwaltung stellte das Denkmal schließlich im Deweerth-Garten wieder auf. Während des Krieges wurde das Bronzedenkmal für die Waffenschmieden des Dritten Reiches eingeschmolzen.

Andere Sorgen

Mehr als tausend Wuppertaler Frauen hatten 1937 andere Sorgen als jene Bürger, die für das Kaiserdenkmal auf die Barrikaden gegangen waren. Ihre Männer und Söhne saßen in den Gefängnissen und Zuchthäusern oder bevölkerten die gefürchteten Konzentrationslager. Sie waren als aktive Widerstandskämpfer gegen die braune Diktatur seit 1933 und besonders an den Massenprozessen von 1935 bis 1937 vor dem Landgericht Wuppertal zu Haftstrafen verurteilt worden. Über 600 Hitler-Gegner, überwiegend Kommunisten und Sozialdemokraten, schickte die NS-Justiz damals für mehr oder weniger längere Zeit hinter Schloß und Riegel.

[Kurt Schnöring]



Quelle:
  • Westdeutsche Zeitung vom 11.08.1989

alle Wuppertal-Themen      nach oben     

www.zeitspurensuche.de
Copyright © 2003 Marina Alice Mutz. Alle Rechte vorbehalten.